Nachruf Spiros Simitis
Mit Spiros Simitis verliert der Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe Universität einen Kollegen, der maßgeblich zu seiner Reputation als einer Stätte der rechtswissenschaftlichen Forschung und Lehre beigetragen hat, die sich grundlagenorientiert den gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen einer modernen, pluralistischen und demokratisch sich selbst organisierenden Gesellschaft stellt. Dies gilt schon für seine Dissertation aus dem Jahre 1957, deren Titel programmatisch für das gesamte weitere Werk ihres Autors ist: „Die faktischen Vertragsverhältnisse als Ausdruck der gewandelten sozialen Funktion der Rechtsinstitute des Privatrechts.“ Im Nachhinein verwundert es daher nicht, dass er einer der ersten gewesen ist, die die zunehmende rechtliche Bedeutung der Vorteile ebenso wie die Risiken elektronischer Datenverarbeitungstechnologien bereits zu einer Zeit erkannt haben, in der Computer noch weit davon entfernt waren, integraler Bestandteil der alltäglichen Lebenswelt eines jeden Einzelnen sowie der staatlichen Organisation zu sein. Das weltweit erste, im Jahre 1970 in Kraft getretene hessische Datenschutzgesetz geht auf ihn zurück und ist sein bleibendes Verdienst. Ohne seine Vorarbeiten wären die Grundrechte nicht um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erweitert worden, wie im „Volkszählungsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts von 1983 geschehen. Dass er 1975 erster Datenschutzbeauftragter des Landes Hessen wurde, war daher eine natürlich Folge. Dieses Amt versah er bis 1991, um damit auch für die weitere Ausgestaltung des Datenschutzrechts in Deutschland und, bis zuletzt, innerhalb der Europäischen Union Sorge zu tragen, unter anderem als Herausgeber des vielfach neu aufgelegten Standardkommentars zum Bundesdatenschutzgesetz.
Es wäre allerdings einseitig, Spiros Simitis nur mit dem Datenschutz zu assoziieren. Auch dem Arbeitsrecht hat er wichtige Impulse gegeben, so nicht zuletzt als Ko-Autor des sog. Frankfurter Gutachtens zum Mitbestimmungsgesetz im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 1979, das nicht nur entscheidend dafür verantwortlich war, dass dieses Gesetz verfassungsrechtlichen Bestand hatte, sondern durch das Urteil dem Gesetzgeber eine Entscheidungsprärogative für die weitere Ausgestaltung der Grundrechte einräumte und gleichzeitig prozedural an Nachprüfungspflichten band. Ebenso galt seine wissenschaftliche Aufmerksamkeit dem Familienrecht, für das er unter anderem die Entwicklung einer folgenreichen, sozialwissenschaftlich, pädagogisch und psychologisch angeleiteten rechtlichen Theorie und Praxis des Kindeswohls initiierte (u.a. mit den beiden, gemeinsam mit Gisela Zenz herausgegebenen Bänden „Familie und Familienrecht“, Suhrkamp-Verlag 1975, sowie dem Band „Kindeswohl“, im gleichen Verlag 1979). Hier wie auch auf den anderen Gebieten seiner vielfältigen wissenschaftlichen Aktivitäten zeigte sich Spiros Simitis außergewöhnliche Begabung, Nachwuchswissenschaftler:innen zu faszinieren und zu fördern. Viele haben aus seinen im besten Wortsinne interdisziplinär gewonnen Einsichten Motive für ihr eigenständiges wissenschaftliches Arbeiten schöpfen können. Auf diese Weise vermochte er über die Rechtswissenschaft hinaus in andere Disziplinen nachhaltig hineinzuwirken, so unter anderem als Mitautor des 1985 bei Suhrkamp erschienen Sammelbandes „Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität.“
Spiros Simitis, mit 30 Jahren bereits Professor an der Universität Gießen, wurde 1969 auf die Professur für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Goethe-Universität berufen, der er trotz zahlreicher Rufe – u.a. an die Yale University, deren ständiger Gastprofessor er seit 1980 gewesen ist - bis zuletzt treu blieb. Die Professur wurde 1979 in Professur für Arbeitsrecht, Bürgerliches Recht, Rechtsinformatik, insbesondere Datenschutzrecht erweitert. 2008 wurde er der erste Direktor des Forschungskollegs Humanwissenschaften der Goethe-Universität in Bad Homburg v.d.H. und versah dieses Amt bis 2016. Von 2001 bis 2012 gehörte er zudem mit einer Unterbrechung dem Deutschen Ethikrat an, dessen Vorsitzender er zudem bis 2005 war. Zahlreiche Ehrungen aus dem In- und Ausland sowie Mitgliedschaften in Akademien vervollständigen das Bild eines national wie international hoch angesehenen Rechtswissenschaftlers, vor dem sich der Frankfurter Fachbereich mit größter Dankbarkeit und Trauer verneigt.
Prof. Dr. Klaus Günther
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Spiros Simitis
(1934 bis 2023)
1934 in Athen geboren, studierte Spiros Simitis Rechtswissenschaft an der Universität Marburg, wo er 1956 im jugendlichen Alter von 22 Jahren mit einer viel beachteten Arbeit promovierte. Es folgte die Habilitation an der Goethe Universität in Frankfurt. Seine erste Professur hatte Simitis von 1964 bis 1969 an der Universität Gießen, um dann an die Goethe Universität zurückzukehren, wo er trotz vieler attraktiver Rufe an renommierte Universitäten im In- und Ausland bis zu seiner Emeritierung blieb und von 2008 – 2012 das neu eingerichtete Forschungskolleg Humanwissenschaften leitete. Gastprofessuren führten ihn u. a. an die London School of Economics, an die University of California in Berkeley, an die Yale University und nach Paris-Nanterre, um nur die klangvollsten Namen zu nennen. Die Ehrungen aufzuzählen, die ihm im In- und Ausland zuteil wurden, ist angesichts der erdrückenden Vielzahl schlicht nicht möglich. Zahlreich waren auch seine hochrangigen Aktivitäten außerhalb der Goethe-Universität.. So war er u.a. Generalsekretär der International Commission on Civil Status von 1966 bis 1980, Datenschutzbeauftragter des Landes Hessen von 1975 – 1991, Vorsitzender der Datenschutzkommission des Europarats von 1982 – 1986, Mitglied des Forschungsrats des Europäischen Universitätsinstituts in Florenz von 1990 - 1996 Vorsitzender der Expertengruppe für Soziale Grundrechte von 1998 – 1999, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats von 2000 – 2005.
Da Simitis mit seinen Pionierarbeiten das Datenschutzrecht nicht nur in Deutschland, sondern international wesentlich beeinflusst hat und das Hessische Datenschutzgesetz von 1970 als erstes Gesetz auf diesem Gebiet weltweit seine Handschrift trug, wird Simitis im In-und Ausland vorrangig als Pionier und Koryphäe des Datenschutzrechts wahrgenommen. Doch wäre es grundfalsch, ihn auf ein bestimmtes Rechtsgebiet festzulegen. Er war ein universeller Rechtsgelehrter von Weltrang, der in vielen Rechtsgebieten deutliche Spuren hinterlassen hat, so vor allem im Arbeitsrecht, im Wirtschaftsrecht, im Familienrecht, im Verbraucherschutzrecht, im Verfassungsrecht und im Europarecht, um nur die wichtigsten Bereiche zu nennen. Gleichzeitig war er Rechtstheoretiker, Rechtshistoriker, Rechtssoziologe, Rechtsvergleicher und Rechtspolitiker. Wichtig war ihm immer Interdisziplinarität und internationale Perspektive. Spiros Simitis war nicht einfach Professor der Rechtswissenschaft, sondern ein umfassend gebildeter Intellektueller, ein Kosmopolit und eine weithin im In- und Ausland bekannte Person der Öffentlichkeit. Diese wenigen Hinweise geben nur einen sehr vagen Eindruck von Simitis‘ innovativer und wirkungsmächtiger wissenschaftlicher und rechtspolitischer Arbeit. Erwähnt sei darüber hinaus, dass er als Hochschullehrer Generationen von Studierenden begeisterte. Doch Simitis hat nicht nur als genialer Wissenschaftler. Hochschullehrer und Politikberater beeindruckt. Er war auch ein großartiger, Freundlichkeit und Zuversicht ausstrahlender Mensch: Simitis war ein Aushängeschild des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Goethe Universität. Er ist am 18. März 2023 nach langer Krankheit in Königstein gestorben. Das tief empfundene Mitgefühl des Fachbereichs Rechtswissenschaft gilt seiner Witwe Ilse Grubrich-Simitis.
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Manfred Weiss
Einen weiteren Nachruf finden Sie auf der Seite der Forschungsstelle Datenschutz.
On March 30 and 31, 2023 the Wilhelm Merton Center for European Integration and International Economic Order at the Goethe University Frankfurt am Main organizes its XXIInd Walter Hallstein-Symposium: “The Common Security and Defence Policy of the EU - Perspectives from Member State”. You will find the Conference Program attached.
The Walter Hallstein-Symposium, which has taken place since 2000, already dealt with the European Union's external relations in 2006 and 2016. The changed security policy situation in Europe and a rising awareness in many member states of the importance of the EU's Common Security and Defence Policy (CSDP) provide an opportunity to take up this topic again.
For once, the focus will not be primarily on the position of the various institutions in the EU itself or its large member states such as Germany and France. Rather, attention will be focused on states "at the periphery" which have a special constitutional status with regard to their defence policy, are particularly exposed to security threats from outside, or, on the contrary, are geographically particularly far away from them, so that the question of their interests arises. The aim is to trace the differences and commonalities in security policy that exist in the EU and which make it possible to gain a better assessment of the state of CSDP by looking at the deeper layers in the respective member states.
Before the contributions from member states, there will be a general overview of the topic, which will also address the thematic focal points for the following contributions. At the end, there will be a final panel from a more practical point of view, for which representatives from the German Foreign Office and from the European External Action Service will share their insights.
The Wilhelm Merton Centre invites kindly you to join the conference!
Registration is now open. Please send an email to Mrs. Psaila: psaila@jur.uni-frankfurt.de. The confirmation will be sent to you. We would like to point out that in the course of registration personal data will be processed in accordance with the EU General Data Protection Regulation.