Wintersemester 2014/15

Fälle der technisierten Gesellschaft

Malte Gruber / Rudolf Wiethölter

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Im Wintersemester 2014/2015 veranstalten wir am 12./13.2.2015
ein privatrechtstheoretisches Seminar (SPB 3 – Grundlagen des Rechts) zum Thema:

Fälle der technisierten Gesellschaft 

Informationstechnologien bilden einen gesellschaftlichen Lebensbereich, in dem unterschied­liche Rationalitäten und Formen von Kommunikation zusammentreffen. Kennzeichnend für dieses heterogene „Interferenzgebiet“ ist eine – vor allem aus rechtlicher Sicht häufig wieder­holte – allgemeine Wahrnehmung von Grenzverlusten. Im Internet geht es dabei vorwiegend um die Frage nach der Haftung von so genannten Vermittlern oder Intermediären, etwa von Providern, für Wettbewerbs- oder Schutzrechtsverletzungen, die über Internetzugänge oder ‑plattformen begangen werden.

Die Wahrnehmung von fehlenden oder verloren gegangenen Grenzen erscheint dabei als Folge einer zunehmenden Vervielfältigung und Vermischung von unterschiedlichen Haf­tungsmodellen. Verkürzt ausgedrückt handelt es sich bei diesen Grenzverlusten in erster Linie um die unscharf gewordene Trennlinie zwischen Störer- und Täterhaftung im Internet. Die Anwendung dieser beiden grundsätzlich voneinander getrennt gehaltenen Haftungs­modelle differiert nicht alleine nach Rechtsgebieten, etwa nach wettbewerbsrechtlicher Verhaltens- und immaterialgüterrechtlicher Erfolgshaftung, und auch nicht nur nach Rechtsfolgen (Besei­tigung, Unterlassung oder Schadensersatz). Vielmehr richtet sie sich ganz praktisch auch nach den technologischen Bedingungen des Internet: Diese werden im Recht vor allem als Beweis­schwierigkeiten sichtbar, die es in vielen Fällen von Wettbewerbs- oder Schutzrechtsverlet­zungen nicht erlauben, überhaupt einen unmittelbaren Täter ausfindig zu machen.

Die wahrgenommenen Grenzverluste beziehen sich insoweit auf eine Entgrenzung von ganz besonderer Art: Entgrenzt werden insbesondere die menschlichen Individuen als ursprüngli­che Verantwortungs- und Haftungssubjekte. Entgrenzung heißt demzufolge genau genommen „Entindi­vi­dualisierung“ oder „Kollektivierung“ von Haftungszuordnungen. Diese findet ihre Zurechnungsgründe eben nicht mehr alleine im menschlichen Handeln, sondern muss eine Vielzahl weiterer, insbesondere technischer Faktoren mit einbeziehen: Zugangsprovider, Hostprovider, Suchmaschinen, Metasuchmaschinen, Forenbetreiber, aber auch WLAN-Betreiber und sogar private (eBay-)Account-Besitzer – sie alle geraten auf vergleichbare Weise in die Rolle von eigenständig Haftenden, allerdings nur in ihrer Funktion als „Mittler“. Soweit sich diese Funktion eher nach Art einer passiven Beteiligung beschreiben lässt, kann in einem engeren Sinne von „Intermediären“ als Zwischengliedern der Haftungszurechnung die Rede sein (§ 1). Verstärkt sich diese Funktion dahingegen graduell zu einer aktiven Teilnahme, so erscheinen „Mittler“ bereits als echte „Mediatoren“ mit eigenem Handlungspotential (§ 2). Vor die­sem Hintergrund lassen sich schließlich noch weitere Verschiebungen der rechtlichen Verantwortungszuordnung nachzeichnen, die beispielsweise in Flashmobs, im so genannten Flash Trading des Hochfrequenzhandels oder auch in der Datensammelwut von Geheim­diensten auf neue Herausforderungen stoßen (§ 3).

 

§ 1: Intermediäre

1.    eBay-Konto
a) BGHZ 180, 134 (Halzband)
b) BGHZ 189, 346 (Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen)

2.    WLAN
a) BGHZ 185, 330 (Sommer unseres Lebens)
b) BGH MMR 2013, 388 (Morpheus)

3.    Haftung für „fremde Informationen“
BGH MMR 2014, 121 (Terminhinweis mit Kartenausschnitt)

4.    Nutzungsentschädigung für Internetausfall
BGHZ 196, 101 (Ausfall des Internetzugangs)

5.    Recht auf Vergessenwerden
EuGH MMR 2014, 455 (Google Spain)

 

§ 2: Mediatoren 

6.    Filesharing
a) BGHZ 194, 339 (Alone in the Dark)
b) BGH MMR 2013, 733 (File-Hosting-Dienst)

7.    eBay-Haftung
BGHZ 191, 19 (Stiftparfüm)

8.    Google-Bildersuche 
a) BGHZ 185, 291 (Vorschaubilder I)
b) BGH GRUR 2012, 602 (Vorschaubilder II)

9.    Google-Suchwortergänzung
BGHZ 197, 213 (Autocomplete-Funktion)

10. Metasuchmaschinen
EuGH MMR 2014, 185 (Innoweb/Wegener)

11. Forenbetreiber
EGMR MMR 2014, 35 (Delfi)

 

§ 3: Agenturen

12. Arbeitskämpfer
a) BAGE 132, 140 (Flashmob-Aktion)
b) BVerfG DB 2014, 956=NJW 2014, 1874 (Nichtannahmebeschluss)

13. Blitzhändler
a) EuGH NZG 2011, 951 (IMC Securities)
b) Jaskulla, Das deutsche Hochfrequenzhandelsgesetz – eine Herausforderung für Handelsteilnehmer, Börsen und Multilaterale Handelssysteme (MTF), BKR 2013, 221

14. Datenspäher
a) Wolf, Der rechtliche Nebel der deutsch-amerikanischen „NSA-Abhöraffäre“, JZ 2013, 1039
b) Hoffmann-Riem, Freiheitsschutz in den globalen Kommunikationsinfrastruktu­ren, JZ 2014, 53
c) Gärditz/Stuckenberg, Vorratsdatenspeicherung à l’américaine – Zur Verfas­sungsmäßigkeit der Sammlung von Telefonverbindungsdaten durch die NSA, JZ 2014, 209
d) Fischer-Lescano, Der Kampf um die Internetverfassung, JZ 2014, 965.

 

Lektüre zur Einführung:

  • Czychowski/Nordemann, Grenzenloses Internet – entgrenzte Haftung? Leitlinien für ein Haftungsmodell der Vermittler, GRUR 2013, 986
  • Hoeren, Das Pferd frisst keinen Gurkensalat – Überlegungen zur Internet Governance, NJW 2008, 2615
  • Hoffmann-Riem, Neue Kollektivität im World Wide Web als Herausforderung für das Recht, JZ 2012, 1081

 

Organisatorisches:

Das Seminar wird im Wintersemester 2014/2015 als Blockveranstaltung zum Ende der Vorle­sungs­zeit (12./13.2.2015) in Raum RuW 3.101 (am 12.2.) / RuW 3.102 (am 13.2.)stattfinden. Es gilt als Schwerpunktbereichsveranstaltung für den Schwerpunktbereich Grundlagen des Rechts (SPB 3). Studierende im Grundstudium sowie im Nebenfach Rechtswissenschaft sind ebenfalls willkommen.

Ein detaillierter Seminarplan wird rechtzeitig vor Veranstaltungsbeginn über die Homepage des Ver­anstalters (www.malte-gruber.de) be­kannt gegeben. Weitere Hinweise zu einführender wie auch zu weiterführender, auf die einzelnen Seminarthe­men bezogener Literatur werden in der Vorbesprechung gegeben. Die oben genannten Empfehlungen dienen lediglich zur ersten Orien­tierung und können eine eigenständige Literaturrecherche nicht ersetzen.

Einen Leistungsnachweis kann erwerben, wer nach Absprache mit den Dozenten ein mündliches Referat von etwa 30 Minuten Dauer vorträgt und hierzu eine schriftliche Arbeit anfertigt. Die Arbeit sollte einen Umfang von ca. 20 Seiten haben und mit einem wissenschaftlichen Fußnoten­appa­rat sowie einer Biblio­gra­phie versehen sein.

Zur An­meldung und Vormerkung für eines der Seminarthemen wenden Sie sich bitte an die Ver­anstalter: gruber@jur.uni-frankfurt.de

Das Seminarprogramm erhalten Sie hier als pdf.