Prof. em. Dr. Gunther Teubner

Professor für Privatrecht und Rechtssoziologie

Kamrand

Inschrift auf dem Bild des Kadi: "...Der Scheikh sagte, möge Gott den Richter bestätigen und ihn vor Nachlässigkeit bewahren..."
37. Maqamah von Abu Muhammed al-Quasim ibn Ali al-Hariri (1054-1122).

Rechtsparabel:

Ein alter reicher Beduinenscheich schrieb sein Testament und verteilte darin seinen Reichtum, eine große Kamelherde, unter seinen drei Söhnen. Achmed, der älteste Sohn, sollte die erste Hälfte seines Vermächtnissen erben. Ali, der zweite Sohn, sollte ein Viertel bekommen, Benjamin, der jüngste Sohn, sollte ein Sechstel bekommen. Als der Vater gestorben war, zeigte sich, daß nur elf Kamele übrig waren. Achmed, natürlich, verlangte davon sechs, wogegen sich die beiden anderen Brüder sofort heftig zu Wehr setzten. Als alle Einigungsversuche gescheitert waren, wendeten sie sich an den Kadi...
Der Kadi entschied: Ich werde euch eines meiner Kamele zur Verfügung stellen. Mit Gottes Willen, gebt es mir zurück, sobald ihr könnt. Nun, da sie zwölf Kamele hatten, war die Entscheidung einfach. Achmed bekam seine Hälfte, nämlich sechs Kamele, Ali bekam ein Viertel, also drei Kamele, während Benjamin ein Sechstel, zwei Kamele, bekam. Und in der Tat, das zwölfte Kamel blieb übrig, es wurde gefüttert und danach dem Kadi zurück gegeben.

Eine Diskussion dieser Rechtsparabel aus dem islamischen Rechtskreis findet sich in Zeitschrift für Rechtssoziologie 21 (2000) und in: Gunther Teubner (Hg.) Die Rückgabe des zwölften Kamels: Niklas Luhmann in der Diskussion über Gerechtigkeit, Stuttgart: Lucius 2000.

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