Studie der Goethe-Universität Frankfurt identifiziert einen Mechanismus, der sich als Ansatzpunkt für neue Medikamente eignen könnte
Um
schneller zu wachsen, aktivieren Leukämiezellen typischerweise das Recycling
zelleigener Strukturen. So können sie schadhafte Bestandteile entsorgen und
sich besser mit Baustoffen versorgen. Forschende der Goethe-Universität
Frankfurt haben nun gezeigt, dass Leukämiezellen mit einer sehr häufig
auftretenden Mutation ganz spezielle Gene aktivieren, die für diesen Prozess
wichtig sind. Die Ergebnisse eröffnen künftige neue Therapieoptionen. Sie sind
nun in der Zeitschrift Cell Reports erschienen.
FRANKFURT. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
um Prof. Stefan Müller vom Institut für Biochemie II der Goethe-Universität
haben in einer aktuellen Arbeit eine bestimmte Blutkrebs-Form untersucht, die
akute myeloische Leukämie, abgekürzt AML. Die Erkrankung tritt vor allem im
Erwachsenenalter auf und endet bei älteren Betroffenen oft tödlich. Bei einem
Drittel der AML-Patientinnen und -Patienten weisen die Krebszellen eine
charakteristische Veränderung ihres Erbguts auf. Diese Mutation betrifft das
sogenannte NPM1-Gen, das die Bauanleitung für ein Protein gleichen Namens
enthält.
Es war bereits bekannt, dass die mutierte NPM1-Variante (Kürzel:
NPM1c) ein wichtiger Faktor für die Entstehung von Leukämie ist. „Wir haben nun
aber mit einem interdisziplinären Team verschiedener Arbeitsgruppen der Goethe
Universität einen neuen Weg entdeckt, wie die NPM1c-Genvariante dies macht“,
erklärt Müller. Demnach greift das veränderte Protein in einen wichtigen
Zellprozess ein, die Autophagozytose. Dabei handelt es sich um einen
Stoffwechselweg, über den die Zelle eigene Strukturen recycelt. Diese
„Selbstverdauung“ dient einerseits der Beseitigung defekter Moleküle. „Außerdem
kann die Zelle so ihren Bedarf an wichtigen Bausteinen decken, etwa bei
Nährstoffmangel oder bei erhöhter Zellteilung, einem Charakteristikum von
Krebszellen“, erklärt Hannah Mende, Doktorandin und Erstautorin der Studie.
Bei der Autophagozytose erzeugt die Zelle zunächst eine Art
Müllbeutel, das Autophagosom. Darin verpackt sie die zellulären Bestandteile,
die zerlegt und gegebenenfalls wiederverwertet werden sollen. Der Müllbeutel
wird dann zum Wertstoffhof der Zelle transportiert, dem sogenannten Lysosom.
Mit Hilfe von Säure und Enzymen wird dort der Beutelinhalt abgebaut. Danach
werden die Bausteine in die Zelle entlassen, wo sie wiederverwendet werden
können. „Wir konnten nun zeigen, dass NPM1c sowohl die Produktion der
Autophagosomen als auch die der Lysosomen fördert“, sagt Müller.
Die Forscherinnen und Forscher haben auch aufgeklärt, wie NPM1c
diese Effekte vermittelt: Es bindet an einen zentralen Regulator des
Autophagosomen-Lysosomen-Systems namens GABARAP und aktiviert ihn dadurch. „Wir
haben mit Hilfe von Computersimulationen gezeigt, dass diese Bindung von NPM1c
und GABARAP eine untypische Struktur aufweist“, erklärt Ko-Autor Dr.
Ramachandra M. Bhaskara, der die Arbeitsgruppe „Computational Cell Biology“ am
Institut für Biochemie II leitet. Experimentelle strukturbiologische Daten
bestätigen die Ergebnisse der Simulation. Auf Basis dieser Ergebnisse lassen
sich nun möglicherweise Wirkstoffe entwickeln, die ganz spezifisch die Bindung
von NPM1c an GABARAP beeinflussen, und damit das Wachstum von Leukämiezellen
bekämpfen.
Publikation: Hannah Mende, Anshu Khatri, Carolin Lange, Sergio Alejandro
Poveda-Cuevas, Georg Tascher, Adriana Covarrubias-Pinto, Frank Löhr, Sebastian
E. Koschade, Ivan Dikic, Christian Münch, Anja Bremm, Lorenzo Brunetti,
Christian H. Brandts, Hannah Uckelmann, Volker Dötsch, Vladimir V. Rogov,
Ramachandra M. Bhaskara, Stefan Müller: An atypical GABARAP binding module
drives the pro-autophagic potential of the AML-associated NPM1c variant. Cell Reports (2023), https://doi.org/10.1016/j.celrep.2023.113484
Bild zum Download: https://www.uni-frankfurt.de/146339021
Bildtext: Die grünen Punkte in
diesem Fluoreszenzbild zeigen die Bindung des Leukämie-assoziierten NPM1c
Proteins an den Recycling-Regulator GABARAP. Blau: Zellkern, Violett:
Zellskelett. Foto: Hannah Mende, AG Stefan Müller, Goethe-Universität Frankfurt
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Stefan Müller
Institut
für Biochemie II
Goethe-Universität und Universitätsklinikum Frankfurt
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Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent
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