Mediziner:innen der Goethe-Universität Frankfurt identifizieren in der DNA von Leukämiezellen einen vielversprechenden Angriffspunkt für neue Therapieansätze
Leukämien sind die häufigste Krebsart bei Kindern. Die Behandlung erfolgt mit intensiver Chemotherapie, die aufgrund ihrer unspezifischen Wirkungsweise schwere Nebenwirkungen hat. Ein Team der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin und des Instituts für Experimentelle Pädiatrische Hämatologie und Onkologie der Goethe-Universität Frankfurt hat nun eine Stelle in der DNA der Krebszellen entdeckt, die für das Überleben von Leukämiezellen essentiell ist. Krebszellen, bei denen das an dieser Stelle kodierte Gen experimentell verändert wurde, starben ab. Der Genort stellt damit ein vielversprechendes Angriffsziel für eine zukünftige Therapiealternative dar.
FRANKFURT. Der
Begriff Leukämie
umfasst verschiedene Formen von Blutkrebs, zu denen auch die akute myeloische
Leukämie (AML) gehört. Dabei entarten frühe Vorstufen der Blutzellen – die
Stammzellen und die daraus hervorgegangenen Vorläuferzellen. Bei Kindern ist
die AML die zweithäufigste Leukämie; sie macht rund vier Prozent aller
bösartigen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter aus. Trotz intensiver
Chemotherapie überlebt nur rund die Hälfte der Betroffenen ohne erneuten
Krankheitsrückfall. Rund ein Drittel der Kinder sind nach der Therapie auf eine
Stammzellspende angewiesen. Da die unspezifisch wirkenden Chemotherapien starke
Nebenwirkungen aufweisen, wird dringend nach neuen, spezifischen Therapieansätzen
gesucht.
Eine
ungewöhnliche Achillesferse von AML-Zellen hat nun ein Team um Jan-Henning
Klusmann von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin und Dirk Heckl vom
Institut für Experimentelle Pädiatrische Hämatologie und Onkologie der Goethe-Universität
Frankfurt gefunden. Für ihre jetzt veröffentlichte Studie hatten sie sich in
den Blutkrebszellen eine bestimmte Gruppe von Nukleinsäuren angeschaut: die
nicht-kodierenden RNAs. Diese entstehen genauso wie gewöhnliche messenger-RNAs
(mRNAs) durch die Abschrift (Transkription) von Genen. Anders als mRNAs werden
die nicht-kodierende RNAs jedoch danach nicht in Proteine übersetzt, sondern
übernehmen häufig regulatorische Funktionen zum Beispiel bei Zellwachstum und
Zellteilung. Eine massive Störung von Regulationsvorgängen zeichnet
typischerweise Krebszellen aus. Nicht-kodierende RNAs sind deshalb interessante
Ansatzpunkte für die Bekämpfung von Krebs.
Vor
diesem Hintergrund wollten die Forschenden um Klusmann und Heckl mehr über die
Rolle von nicht-kodierenden RNAs in AML-Zellen wissen. Dazu erstellten sie eine
Art Bestandsaufnahme dieser Moleküle in Krebszellen von erkrankten Kindern und
verglichen das erhaltene Muster mit dem gesunder Blutstammzellen. Knapp 500
nicht-kodierende RNAs wurden in AML-Zellen im Vergleich zur gesunden Zelle
vermehrt gebildet – ein Hinweis darauf, dass diese in den Krebszellen eine
wichtige Funktion wahrnehmen könnten. Um dies zu überprüfen, schalteten die
Forschenden jedes einzelne dieser RNA-Moleküle aus, indem sie verhinderten,
dass das kodierende Gen im Genom abgelesen wurde. Den deutlichsten Effekt
fanden sie für das Gen MYNRL15: Krebszellen, bei denen dieses Gen
ausgeschaltet war, verloren ihre Fähigkeit zur unbegrenzten Vermehrung und
starben ab.
Überraschenderweise
war für diesen Effekt aber nicht das Fehlen der nicht-kodierenden RNA
verantwortlich, wie Klusmann kommentiert: „Die von uns beobachtete
regulatorische Funktion ist auf das Gen MYNRL15 selbst zurückzuführen.“
Das Team konnte zeigen, dass sich durch die Zerstörung des Gens die räumliche
Struktur des Chromatins, also der dreidimensionalen Organisationsform des
Erbguts, veränderte. „Dies führte zur Deaktivierung von Genen, die AML-Zellen
für ihr Überleben benötigen“, so Klusmann. Damit bietet sich nun eine ungeahnte
neue Möglichkeit, um Blutkrebs zu bekämpfen.
Vor
diesem Hintergrund ist es bedeutsam, dass der hemmende Effekt durch das
veränderte MYNRL15-Gen bei verschiedenen AML-Zelllinien beobachtet
werden konnte. Diese stammten sowohl aus Kindern als auch aus Erwachsenen und
deckten verschiedene Unterformen der Krankheit ab – darunter eine, die bei
Menschen mit Down-Syndrom häufig auftritt. „Dass alle Leukämien, die wir
untersucht haben, von diesem Genort abhängig waren, zeigt uns, dass dieser eine
wichtige Bedeutung haben muss“, schlussfolgert Klusmann. Die Forschenden hoffen
nun, dass sich die Abhängigkeit der Krebszellen von MYNRL15 ausnutzen
lässt, um eine spezifische Gentherapie zu entwickeln. „In unserer Studie haben
wir erstmals systematisch nicht-kodierende RNAs und ihre Gene in AML-Zellen
untersucht und dabei einen Genort identifiziert, der einen vielversprechenden
Angriffspunkt für die Entwicklung einer zukünftigen Therapie darstellt“, fasst
Klusmann zusammen.
Publikation: Michelle Ng, Lonneke Verboon, Hasan Issa, Raj Bhayadia, Marit
Willemijn Vermunt, Robert Winkler, Leah Schüler, Oriol Alejo, Konstantin
Schuschel, Eniko Regenyi, Dorit Borchert, Michael Heuser, Dirk Reinhardt,
Marie-Laure Yaspo, Dirk Heckl, Jan-Henning Klusmann: Myeloid leukemia
vulnerabilities embedded in long noncoding RNA locus MYNRL15. iScience 26,
107844 (2023) https://doi.org/10.1016/j.isci.2023.107844
Weitere Informationen
Prof.
Dr. med. Jan-Henning Klusmann
Direktor
Klinik
für Kinder- und Jugendmedizin
Universitätsklinikum
Frankfurt
Telefon:
+49 69 6301-5094
kkjm-direktor@kgu.de
www.kgu.dewww.leukemia-research.de
Prof.
Dr. Dirk Heckl
Institut
für Experimentelle Pädiatrische Hämatologie und Onkologie
Goethe-Universität
Frankfurt
d.heckl@kinderkrebsstiftung-frankfurt.de
Twitter:
@jhkmann @jhklusmann @goetheuni @UK_Frankfurt
Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für
Wissenschaftskommunikation, Büro für PR & Kommunikation,
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