Ärztin der Medizinischen Hochschule Hannover erforscht Leukämie und Darmkrebs
Die 24-jährige Ärztin Dr. Laura Hinze von der Medizinischen Hochschule Hannover erhält den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis 2022. Das gab der Stiftungsrat der Paul Ehrlich-Stiftung heute bekannt. Die Preisträgerin wird für ihren bedeutenden Beitrag zum Verständnis der Signalübertragung in Krebszellen ausgezeichnet. Sie hat entdeckt, wie Leukämiezellen Resistenz gegen das Chemotherapeutikum Asparaginase entwickeln, und so einen neuen Angriffspunkt für die Behandlung der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) erschlossen. ALL ist die häufigste Krebsart bei Kindern. Ferner konnte sie einen neuen Ansatz zur Behandlung von Darmkrebs und anderen soliden Tumoren ableiten.
FRANKFURT.
Leukämiezellen sind im Gegensatz zu normalen Körperzellen nicht in der Lage,
ausreichende Mengen der Aminosäure Asparagin selbst herzustellen. Sie müssen
Asparagin importieren. Weil das Enzym Asparaginase den Abbau von Asparagin
katalysiert, reduziert es das extrazelluläre Angebot dieser Aminosäure
drastisch. Asparaginase ist deshalb ein wirksames Mittel zur Behandlung von
ALL, denn davon gehen Leukämiezellen zugrunde, während es normalen Körperzellen
nicht schadet. Leukämiezellen können jedoch lernen, sich der Wirkung der
Asparaginase zu entziehen.
Um herauszufinden, wie ihnen das gelingt, schalteten Dr. Laura
Hinze und ihr Team mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas9 in einer Kultur
resistenter ALL-Zellen systematisch rund 19.000 Gene aus – in jeder Zelle
jeweils nur eines – und beobachteten, was geschah, wenn sie die Zellen mit
Asparaginase behandelten. Als Vergleich diente eine Kultur, die nur mit einer
Pufferlösung ohne Wirkstoff versetzt worden war. Von den mit Asparaginase
behandelten Zellen starben besonders häufig diejenigen ab, in denen eines der
beiden Gene NKD2 oder LGR6 ausgeschaltet worden war. Ihnen war die Resistenz
offenbar abhandengekommen. Das deutete im Umkehrschluss darauf hin, dass
Leukämiezellen, in denen diese Gene funktionieren, besonders häufig resistent
werden. Beide Gene codieren, das zeigten Hinze und ihr Team, für Inhibitoren
des Wnt-Signalweges.
Im gesunden Organismus ist dieser Signalweg für die
Embryonalentwicklung und später für Erhaltungsarbeiten im Gewebe zuständig.
Seine außerplanmäßige Aktivierung begünstigt die Entstehung von Krebs. Die
Hauptrolle spielt dabei ein Überschuss des Proteins ß-Catenin, das
Wachstumsimpulse in den Zellkern trägt. Wenn der Wnt-Signalweg inaktiv ist,
wird ß-Catenin für den Abbau markiert. Zentral für diese Markierungsarbeit ist
das Enzym Glykogensynthase-Kinase 3 (GSK3). Es sorgt dafür, dass ß-Catenin der
innerzellulären Proteinverwertung (dem Proteasom) zugeführt und dort wie alle
Proteine, die der Zelle schaden könnten oder die sie nicht braucht, in kleine
Bruchstücke und Aminosäuren zerlegt wird. Aus dieser Quelle holt sich die
Leukämiezelle Asparagin, das ihr durch die Behandlung mit Asparaginase
vorenthalten worden ist.
Hinze und Kollegen gelang es, durch eine partielle Aktivierung des
Wnt-Signalweges, die den Abbau von ß-Catenin blockiert, ohne dessen potenziell
onkogene Signale zu beflügeln, diese Resistenzquelle weitgehend auszutrocknen.
Denselben Effekt erzielten sie durch eine selektive Blockade von GSK.
Leukämiekranke Mäuse, die gleichzeitig Asparaginase und GSK3- Inhibitoren
erhielten, überlebten sehr viel länger als solche, die nur mit Asparaginase behandelt
wurden.
Mutationen auf dem Wnt-Signalweg, die zu dessen Überaktivierung
führen, sind besonders typisch für Darmkrebs. Deshalb prüfte Hinze, inwieweit
sich ihre Forschungsergebnisse auf diese zweithäufigste aller Krebsarten
übertragen lassen. Ihre Ausgangshypothese: Etwa 15 Prozent aller
Wnt-Signalwegmutationen liegen bei Darmkrebs stromaufwärts des Enzyms GSK3. Das
Enzym ist bei Patienten mit dieser genetischen Signatur also bereits durch
Mutationen im Erbgut der Krebszellen inhibiert. Das Proteasom liefert kein
Asparagin mehr. Entzieht man das Asparagin außerdem durch die Gabe von
Asparaginase, könnte man die Darmkrebszellen aushungern. Diese Hypothese haben
Laura Hinze und ihr Team inzwischen präklinisch belegt. Sie könnte auch für
andere solide Tumoren gelten, die durch eine Wnt-induzierte endogene Inhibition
von GSK3 charakterisiert sind.
Der Preis wird – zusammen mit dem Hauptpreis 2022 und den Preisen
des Jahres 2021 – am 14. März 2022 um 17 Uhr vom Vorsitzenden des
Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung in der Frankfurter Paulskirche
verliehen. Pandemiebedingt ist das Platzangebot begrenzt. Die Veranstaltung
wird per Livestream übertragen. Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.
Bilder der Preisträgerin und ausführliche Hintergrundinformation „Zangenangriff
über beide Flanken“ zum Download auf: www.paul-ehrlich-stiftung.de
Weitere Informationen
Pressestelle
Paul Ehrlich-Stiftung
Joachim Pietzsch
Tel.: +49 (0)69 36007188
E-Mail: j.pietzsch@wissenswort.com
www.paul-ehrlich-stiftung.de
Redaktion: Joachim Pietzsch / Dr. Markus Bernards,
Referent für Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de