Forscher aus Frankfurt und Grenoble beobachten im Ribosomentunnel erstmals Disulfidbrücken-Bildung bei Gamma-B-Kristallin
Chemische Bindungen innerhalb des Augenlinsen-Proteins Gamma-B-Kristallin halten das Protein zusammen und sind deshalb wichtig für die Funktion des Eiweißes in der Linse. Entgegen bisheriger Annahmen entstehen bestimmte dieser Bindungen, sogenannte Disulfidbrücken, bereits parallel zur Synthese des Proteins in der Zelle. Dies haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt, des Frankfurter Max-Planck-Instituts für Biophysik und des französischen Institute de Biologie Structurale in Grenoble herausgefunden.
FRANKFURT. Die
Linse des menschlichen Auges erhält ihre Transparenz und Brechkraft dadurch,
dass in ihren Zellen bestimmte Proteine dicht gepackt sind. In der Hauptsache
handelt es sich dabei um Kristalline. Kann diese dichte Packung zum Beispiel
durch erblich bedingte Veränderungen in den Kristallinen nicht aufrechterhalten
werden, sind Linsentrübungen die Folge, sogenannte Katarakte („Grauer Star“),
die weltweit die häufigste Ursache für den Verlust des Sehvermögens darstellen.
Damit Kristalline in den Linsenfaserzellen dicht gepackt werden
können, müssen sie stabil und richtig gefaltet werden. Die Proteinfaltung
beginnt bereits während der Biosynthese von Proteinen in den Ribosomen, großen Eiweißkomplexen.
Ribosomen helfen dabei, den genetischen Code in eine Abfolge von Aminosäuren zu
übersetzen. Dabei bilden Ribosomen einen schützenden Tunnel um die neue
Aminosäurekette, die gleich nach der Entstehung dreidimensionale Strukturen mit
verschiedenen Elementen wie Helices oder gefalteten Strukturen annimmt. Die in
Frankfurt und Grenoble untersuchten Gamma-B-Kristalline weisen darüber hinaus
noch viele Verbindungen zwischen je zwei schwefelhaltigen Aminosäuren auf, so
genannte Disulfidbrücken.
Die Herstellung solcher
Disulfidbrücken ist für die Zelle nicht ganz einfach, herrschen doch im
Zellmilieu biochemische Bedingungen, die solche Disulfidbrücken verhindern oder
auflösen. Im fertigen Gamma-B-Kristallin-Protein werden die Disulfidbrücken daher
durch andere Teile des Proteins nach außen abgeschirmt. Solange das Protein
allerdings im Entstehen ist, ist das noch nicht möglich.
Doch weil der Ribosomentunnel als zu eng galt, nahm man – auch
aufgrund von anderen Studien – an, dass die Disulfidbrücken der
Gamma-B-Kristalline erst nach der Fertigstellung der Proteine entstehen. Zur
Prüfung dieser Annahme nutzten die Forscher aus Frankfurt und Grenoble
genetisch veränderte Bakterienzellen als Modellsystem, stoppten die Synthese
der Gamma-B-Kristalline zu verschiedenen Zeitpunkten und untersuchten die
Zwischenprodukte mit massenspektrometrischen, kernspinresonanzspektroskopischen
und elektronenmikroskopischen Methoden, ergänzt um theoretische
Simulationsrechnungen. Das Ergebnis: Die Disulfidbrücken entstehen bereits am
noch nicht fertigen Protein während der Synthese der Aminosäurekette.
„Wir konnten damit zeigen, dass Disulfidbrücken bereits im
Ribosomentunnel entstehen können, der genügend Raum dafür bietet und die
Disulfidbrücken gegen das zelluläre Milieu abschirmt“ sagt Prof. Harald
Schwalbe vom Institut für Organische Chemie und Chemische Biologie der
Goethe-Universität. „Überraschenderweise handelt es sich jedoch nicht um
dieselben Disulfidbrücken, die später im fertigen Gamma-B-Kristallin vorhanden
sind. Wir schließen daraus, dass zumindest einige der Disulfidbrücken später
wieder aufgelöst und anders geknüpft werden. Der Grund dafür liegt
wahrscheinlich im optimalen Timing der Proteinherstellung: Die ‚vorläufigen'
Disulfidbrücken beschleunigen die Bildung der ‚finalen' Disulfidbrücken, wenn
das Gamma-B-Kristallin vom Ribosom freigesetzt wird.“
In weiteren Untersuchungen wollen die Forscher nun testen, ob die
Syntheseprozesse in den leicht unterschiedlichen Ribosomen höherer Zellen
ähnlich wie im bakteriellen Modellsystem ablaufen.
Publikation: Linda Schulte, Jiafei Mao, Julian Reitz, Sridhar Sreeramulu, Denis Kudlinzki, Victor-Valentin Hodirnau, Jakob Meier-Credo, Krishna Saxena, Florian Buhr, Julian D. Langer, Martin Blackledge, Achilleas S. Frangakis, Clemens Glaubitz, Harald Schwalbe: Cysteine oxidation and disulfide formation in the ribosomal exit tunnel. Nature Communications https://doi.org/10.1038/s41467-020-19372-x
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Harald Schwalbe
Institut
für Organische Chemie und Chemische Biologie
Center for Biomolecular Magnetic Resonance
(BMRZ)
Goethe-Universität
Frankfurt
Tel:
+496979829137
schwalbe@nmr.uni-frankfurt.de
http://schwalbe.org.chemie.uni-frankfurt.de/