Elvira Mass erhält renommierte Auszeichnung für Erkenntnisse zur Organentwicklung bei der Maus
Die Weichen für die Gesundheit der Organe werden offensichtlich schon im frühen Embryo gestellt. Die diesjährige Nachwuchspreisträgerin hat gezeigt, dass spezialisierte Immunzellen aus dem Dottersack die Entwicklung der Organe begleiten und zeitlebens zur Gesunderhaltung beitragen. Damit bestimmen diese Zellen mit über das Funktionieren der Organe. Für Elvira Mass liegt in der eingeschränkten Funktion dieser Zellen eine mögliche Ursache für viele Erkrankungen.
FRANKFURT am MAIN. Der mit 60.000 Euro dotierte
Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis 2021 geht an die
Entwicklungsbiologin Professorin Elvira Mass vom Life and Medical Sciences
Institut (LIMES) der Universität Bonn. Die Preisverleihung in der Paulskirche,
die traditionell am 14. März, dem Geburtstag von Paul Ehrlich, mit einem
Festakt gefeiert wird, fällt in diesem Jahr wegen der Coronavirus-Pandemie aus.
Die Ehrung der Nachwuchspreisträgerin wird im kommenden Jahr zusammen mit den
Preisträgern 2022 nachgeholt werden.
Damit die Organe gesund und leistungsfähig bleiben,
muss das Gewebe ständig nach Auffälligkeiten durchforstet werden. Bis vor
wenigen Jahren galt die Auffassung, dass diese Aufgabe von Immunzellen aus dem
Knochenmark übernommen wird. Mass hat in einer Reihe eleganter Experimente
gezeigt, dass diese Zellen auf Vorläuferzellen im Dottersack zurückgehen, der
den Embryo bis zur Ausbildung der Placenta ernährt und dann abgebaut wird. Die
Vorläuferzellen wandern aus dem Dottersack in die entstehenden Organe,
begleiten deren Entwicklung und bleiben auch nach der Geburt ein Leben lang
präsent. Woher sie diese Langlebigkeit nehmen, ist bislang ein Rätsel.
Bei den Immunzellen handelt es sich um sogenannte
Gewebe-Makrophagen, also um Fresszellen des angeborenen Immunsystems. Ihre
primäre Aufgabe besteht darin, aufzuräumen und alles zu beseitigen, was nicht
zu einem gesunden Organ gehört. Allerdings produzieren sie auch Botenstoffe und
schaffen Nährstoffe herbei, sodass sie auch dafür sorgen, dass Neues entsteht.
„Die besondere Leistung von Elvira Mass besteht in
einem wichtigen Perspektivenwechsel beim Blick auf die Funktion von Organen“,
schreibt der Stiftungsrat unter Vorsitz von Professor Thomas Boehm, Direktor am
Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg, in seiner
Begründung. „Wer sich für die Frage interessiert, wie sich Organe entwickeln
und was sie gesund erhält, schaut jetzt nicht mehr nur auf das Knochenmark,
sondern ebenso auf den Dottersack und damit auf eine ganz andere Population von
Makrophagen. Das hat auch Konsequenzen für die Medizin, denn Organerkrankungen
könnten auch auf eine Fehlfunktion der Makrophagen-Vorläuferzellen aus dem
Dottersack zurückgehen“, so der Stiftungsrat weiter.
Dass dies tatsächlich der Fall ist, hat Mass für
einige Organe der Maus gezeigt, zum Beispiel für das Gehirn, wo die ansässigen
Makrophagen Mikroglia heißen. Der Hinweis auf eine relevante Fehlfunktion kam
aus der Medizin. Es gibt eine Form von Krebs, bei dem sich die
Gewebe-Makrophagen unkontrolliert vermehren und bei der die Kranken mit der
Zeit Anzeichen für eine Neurodegeneration oder eine Bewegungsstörung
entwickeln. Diesen als Histiozytosen bezeichneten Tumoren liegt meistens eine
spezielle Mutation zugrunde. Mass hat diese Mutation bei Mäusen in die
Vorläuferzellen im Dottersack geschleust und verfolgt, wie sich die Tiere
entwickelten. Dabei zeigte sich, dass die mutierten Mikroglia-Zellen nicht mehr
ihren angestammten Aufgaben nachgehen, sondern die Nervenzellen in ihrer
Nachbarschaft attackieren und beseitigen. Das führte bei den Mäusen früher oder
später zu Lähmungen und passt damit zum klinischen Bild einer Histiozytose.
Mit der ihr kürzlich
zugesprochenen, begehrten Förderung des Europäischen Forschungsrates wird die
Nachwuchspreisträgerin in Zukunft untersuchen, welche Umweltfaktoren die
epigenetische Prägung in den Vorläuferzellen des Dottersacks derart verändern,
dass sich daraus Konsequenzen für die Gesundheit der Organe ergeben. Dafür wird
sie unter anderem den Einfluss von Nanoplastik-Partikeln auf die Makrophagen
untersuchen. Teilchen, die kleiner als 500 Nanometer sind, gelangen über die
Plazenta ins Blut des Embryos und könnten damit auch der Fürsorge-Funktion der
Gewebe-Makrophagen schaden.
Kurzbiographie Professorin Dr. Elvira Mass
Elvira Mass (34) studierte
Biologie an der Universität Bonn und promovierte am dortigen Life and Medical
Sciences Institut (LIMES). 2014 wechselte sie in das Labor von Frederic
Geissmann ans King's College in London und folgte ihm wenige Monate später an
das Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York. Von dort kehrte sie
2017 als Gruppenleiterin an das LIMES-Institut der Universität Bonn zurück.
2019 wurde sie W2 Professorin für „Integrated Immunology“ an der Universität
Erlangen-Nürnberg. 2020 wechselte sie auf eine W2/W3-Professur ans
LIMES-Institut. Mass ist mehrfach ausgezeichnet worden. 2020 erhielt sie den
Heinz Maier Leibnitz-Preis. Dies ist der bedeutendste Preis zur Förderung des
wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland.
Der
Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis
Der
2006 erstmals vergebene Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis
wird von der Paul Ehrlich-Stiftung einmal jährlich an einen in Deutschland
tätigen Nachwuchswissenschaftler oder eine in Deutschland tätige
Nachwuchswissenschaftlerin verliehen, und zwar für herausragende Leistungen in
der biomedizinischen Forschung. Das Preisgeld von 60.000 Euro muss
forschungsbezogen verwendet werden. Vorschlagsberechtigt sind Hochschullehrer
und Hochschullehrerinnen sowie leitende Wissenschaftler und
Wissenschaftlerinnen an deutschen Forschungseinrichtungen. Die Auswahl der
Preisträger erfolgt durch den Stiftungsrat auf Vorschlag einer achtköpfigen
Auswahlkommission.
Die
Paul Ehrlich-Stiftung
Die Paul
Ehrlich-Stiftung ist eine rechtlich unselbstständige Stiftung, die
treuhänderisch von der Vereinigung von Freunden und Förderern der
Goethe-Universität verwaltet wird. Ehrenpräsidentin der 1929 von Hedwig Ehrlich
eingerichteten Stiftung ist Professorin Dr. Katja Becker, Präsidentin der
Deutschen Forschungsgemeinschaft, die auch die gewählten Mitglieder des
Stiftungsrates und des Kuratoriums beruft. Vorsitzender des Stiftungsrates der
Paul Ehrlich-Stiftung ist Professor Dr. Thomas Boehm, Direktor am Max-Planck-Institut
für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg, Vorsitzender des Kuratoriums ist
Professor Dr. Jochen Maas, Geschäftsführer Forschung & Entwicklung,
Sanofi-Aventis Deutschland GmbH. Prof. Dr. Wilhelm Bender ist in seiner
Funktion als Vorsitzender der Vereinigung von Freunden und Förderern der
Goethe-Universität zugleich Mitglied des Stiftungsrates der Paul
Ehrlich-Stiftung. Der Präsident der Goethe-Universität ist in dieser Funktion
zugleich Mitglied des Kuratoriums.
Weitere Informationen
Alle Unterlagen der Pressemappe sowie
ein Foto von Professorin Elvira Mass sind unter www.paul-ehrlich-stiftung.de zur Verwendung hinterlegt. Den
ausführlichen Lebenslauf, ausgewählte Veröffentlichungen und die
Publikationsliste erhalten Sie von Dr. Hildegard Kaulen, Telefon: +49 (0)
6122/52718, E-Mail: h.k@kaulen-wissenschaft.de
Hintergrundinformation zur Verleihung des Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreises 2021 an Professorin Dr. Elvira Mass (PDF)