Neue Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ befasst sich mit dem Thema Digitalisierung / Interview mit Arbeitssoziologin Friedericke Hardering
FRANKFURT. Die Corona-Krise hat vieles verändert – auch in der Arbeitswelt. Die Digitalisierung ist auch hier einen großen Schritt vorangekommen. Defizite bei Ausstattung und Infrastruktur wurden dabei schmerzhaft deutlich, aber auch die Bereiche, in denen analoge Formen des Arbeitens nicht zu ersetzen sind. Die jüngste Ausgabe von „Forschung Frankfurt“, die heute erscheint, trägt den Titel: „Wir in der digitalen Welt – Chancen Risiken Nebenwirkungen“. Darin versammelt ist ein facettenreiches Spektrum an Beiträgen aus der Soziologie, der Rechtswissenschaft, der Psychologie, den Wirtschaftswissenschaften und natürlich auch der Informatik. Den Auftakt macht ein Interview mit der Arbeitssoziologin Friedericke Hardering, die auch Fragen zu den Entwicklungen des zurückliegenden Halbjahres beantwortet.
Deutschland hinke bei der
Digitalisierung hinterher, diese weit verbreitete Kritik teilt Hardering –
allerdings nur begrenzt: „Es gibt inzwischen durchaus genug Akteure, die
Deutschland analog zum Silicon Valley zum Silicon Germany machen wollen. Die
Relevanz des Themas wird gesehen.“ Deshalb sieht die Soziologin, die an der
Goethe-Universität habilitiert wurde, durchaus optimistisch in die Zukunft.
Wobei sie auch den Staat in der Pflicht sieht: „Auch das Silicon Valley hätte
es ohne staatliche Hilfe so nicht gegeben: Das ist ja nicht durch die
Initiative von Unternehmern entstanden, sondern nur auf der Basis massiver Fördergelder.
Ohne eine gute Infrastruktur und die entsprechende Förderung kann es nicht
funktionieren.“
Dass analoge Formen des
Arbeitens und der Begegnung bald der Vergangenheit angehören könnten, diese
Möglichkeit sieht Hardering nicht: „Unter normalen Bedingungen – ohne
Corona-Krise – brauchen wir immer eine Verzahnung von Online und Offline, in
der Arbeitswelt, aber auch darüber hinaus.“ Denn digitale Technologien seien
keineswegs ein Allheilmittel für Krisen jeder Art, sondern sie brächten andere
Risiken mit sich. Die in der Corona-Zeit vielgenutzte Möglichkeit des
Homeoffice habe Hardering zufolge vor allem gezeigt, wie gespalten die
Gesellschaft sei in Bezug auf materielle Ausstattung, aber auch in Bezug auf
die Kenntnisse. Die Digitalisierung verschärfe die Ungleichheit zwischen den
Menschen weiter.
Unabhängig von der Coronakrise
bringt die Digitalisierung auch neue Formen der Arbeitsorganisation hervor, zum
Beispiel Crowdworking-Plattformen. Dieser wachsende Bereich stelle auch die
Gewerkschaften vor große Herausforderungen: „Soloselbstständigkeit ist ja auch
unabhängig von Digitaltechnologie immer ein relativ ungeschützter Bereich mit
vielen Unsicherheiten und Prekaritäten.“ Die Frage sei, wie man
Soloselbstständige zum kollektiven Handeln bringen könne. Auch in anderer
Hinsicht verschärfe die Digitalisierung prekäre Arbeitssituationen. Bei der
Rasanz der Entwicklung könnten Regulierungsinstanzen oft nicht mithalten.
Hardering, die derzeit in einem
Projekt zur Entfremdung der Menschen von der Arbeit forscht, spricht im
Interview auch darüber, wie sich die Erfahrungen von Beschäftigten in Hinblick
auf die Digitalisierung ändern, wie diese sich unter den Bedingungen neuer
digitaler Technik die Arbeit aneignen. „Ein Phänomen der Entfremdung wäre zum
Beispiel, wenn die Leute davon berichten, dass eine bestimmte Form des
Zusammenseins früher in der Arbeit gegeben war, die jetzt, zum Beispiel durch
Beschleunigungsprozesse, durch immer höheren Zeit- und Leistungsdruck, nicht
mehr da ist“, erklärt die Soziologin. Arbeit sei immer auch ein Ort des
sozialen Zusammenseins und somit wichtig für die Weltaneignung.
Auch die sonstigen Beiträge im
aktuellen „Forschung Frankfurt“ betrachten die Digitalisierung vor allem unter
dem Aspekt der Auswirkungen auf den Einzelnen und die Gesellschaft.
Die aktuelle Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ (1/2020) kann von
Journalisten kostenlos bestellt werden bei: ott@pvw.uni-frankfurt.de.
Im
Web: www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de.
Informationen: Dr. Friedericke Hardering, E-Mail: f.hardering@soz.uni-frankfurt.de