Analyse von Weißschiefer zeigt geologisch rasche Aufwärtsbewegungen – Studie von Goethe-Universität, Universität Heidelberg und Université de Rennes
Wie sich Platten im Erdmantel bewegen und wie sich Gebirge bilden, ist nicht ganz leicht zu untersuchen. Spezielle Gesteine, die tief ins Erdinnere hinabgesunken und von dort wieder zurückgekehrt sind, können Antworten liefern. Einem internationalen Geologenteam ist es nun unter Federführung des Instituts für Geowissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt gelungen, einen Weißschiefer aus den Alpen mittels Computermodellierung so genau zu analysieren, dass sich eine bisherige Theorie über die Bewegung von Platten in Frage stellen lässt.
FRANKFURT.
Geowissenschaftler:innen untersuchen Gesteine in Gebirgsgürteln, um zu
rekonstruieren, wie diese sich einst in die Tiefe hinabbewegt haben und dann
wieder an die Oberfläche zurückkehrten. Diese Verschüttungs- und
Exhumierungsgeschichte gibt Hinweise auf die Mechanismen der Plattentektonik
und der Gebirgsbildung. Bestimmte Gesteine, die zusammen mit Platten weit ins
Erdinnere hinabsinken, werden unter dem dort herrschenden enormen Druck in
andere Gesteinsarten umgewandelt. Bei dieser UHP-Metamorphose (UHP: ultra high
pressure) wird zum Beispiel Siliziumdioxid (SiO2) im Gestein zu Coesit, das
auch als UHP-Polymorph von SiO2 bezeichnet wird. Chemisch handelt es sich zwar
immer noch um Siliziumdioxid, doch sind die Kristallgitter enger gepackt und
daher dichter. Wenn sich die Platten aus der Tiefe wieder nach oben bewegen,
kommen auch die UHP-Gesteine wieder an die Oberfläche und sind an bestimmten
Stellen im Gebirge auffindbar. Ihre Mineralzusammensetzung liefert
Informationen darüber, welchen Drücken sie auf der vertikalen Wanderung durchs
Erdinnere ausgesetzt waren. Über die Maßeinheit des lithostatischen Drucks
lassen sich Druck und Tiefe in Beziehung setzen: Je höher der Druck, desto tiefer lag das Gestein.
Bisher ging die Forschung davon aus, dass UHP-Gesteine in 120
Kilometern Tiefe begraben waren. Von dort unten sind sie dann mit den Platten
wieder an die Oberfläche zurückgekehrt, wobei der Umgebungsdruck gleichmäßig,
also statisch, nachließ. Eine neue Studie von Goethe-Universität Frankfurt
sowie den Universitäten Heidelberg und Rennes, Frankreich, stellt diese Annahme
eines langen, kontinuierlichen Aufstiegs jedoch in Frage. Beteiligt an der
Studie waren von Seiten der Goethe-Universität Frankfurt unter anderem
Erstautorin Cindy Luisier, die im Rahmen eines Humboldt-Forschungsstipendiums
an die Goethe-Universität Frankfurt kam, und Thibault Duretz, Leiter der
Arbeitsgruppe Geodynamik am Institut für Geowissenschaften. Das
Wissenschaftsteam untersuchte einen Weißschiefer aus dem Dora-Maira-Massiv in
den italienischen Westalpen. "Weiße Schiefer sind Gesteine, die sich
während der Alpenbildung aus der UHP-Metamorphose eines flüssigkeitsveränderten
Granits gebildet haben", erklärt Duretz. "Das Besondere an ihnen ist
die große Menge an Coesit. Die Coesitkristalle im Weißschiefer sind mehrere
Hundert Mikrometer groß und damit ideal für unsere Untersuchungen." Das
Stück Weißschiefer aus dem Dora-Maira-Massiv enthielt rosa Granate in einer
silbrig-weißen Matrix unter anderem aus Quarz. "Das Gestein hat eine besondere
Chemie und damit Mineralogie", so Duretz. Mit dem Wissenschaftsteam
untersuchte er es, indem er zuerst einen sehr dünnen Schnitt von etwa 50
Mikrometern Dicke anfertigte und diesen dann auf Glas aufklebte. So konnten die
Mineralien unter dem Lichtmikroskop bestimmt werden. Anschließend folgte die
Computermodellierung bestimmter, besonders interessanter Stellen.
Diese Stellen waren von den rosa Granatkörnern umschlossene
Siliziumdioxid-Partikel, in denen sich zwei SiO2-Polymorphe gebildet hatten.
Einmal Coesit, das bei sehr hohem Druck (4,3 Gigapascal) entstand. Bei dem
anderen Siliziumdioxid-Polymorph handelte es sich um Quarz, das wie ein Ring um
das Coesit herum lag. Es entstand bei viel niedrigerem Druck (1,1 Gigapascal).
Der Weißschiefer war also erst sehr hohem, dann viel niedrigerem Druck
ausgesetzt gewesen. Es hatte eine starke Druckabnahme oder Dekompression
gegeben. Die entscheidende Entdeckung war folgende: Von den SiO2-Einschlüssen
gingen speichenförmige Risse nach allen Seiten aus, das Ergebnis des
Phasenübergangs von Coesit zu Quarz. Dieser Übergang bewirkt eine große
Volumenänderung - und verursachte starke Spannungen im Gestein. Diese ließen
den Granat brechen, der die SiO2-Einschlüsse umgibt. "Solche radialen
Risse können sich jedoch nur bilden, wenn das Wirtsmineral, der Granat, sehr
stark bleibt", erklärt Duretz. "Und Granat bleibt nur dann sehr
stark, wenn der Druck sehr schnell abfällt." Sehr schnell heißt in
geologischen Dimensionen in Tausenden bis Hunderttausenden von Jahren. In diesem
"kurzen" Zeitraum muss der Druck von 4,3 auf 1,1 Gigapascal gesunken
sein. Andernfalls hätte der Granat, anstatt Risse zu bilden, sich zum Flüssigen
hin verformt, um die Volumenänderung in den SiO2-Einschlüssen auszugleichen.
Die Tatsache der schnellen Dekompression lässt laut Duretz die
bisherige Annahme, dass UHP-Gestein 120 Kilometer Tiefe erreicht, weniger
wahrscheinlich erscheinen. Denn der Aufstieg aus einer solchen Tiefe liefe in
einem langen Zeitraum ab, der nicht zur hohen Dekompressionsrate passt.
"Wir vermuten eher, dass unser Weißschiefer nur 60 bis 80 Kilometer tief
lag", so der Geologe. Und auch die Prozesse im Erdinnern könnten ganz
anders sein als bisher angenommen. Dass sich Gesteinseinheiten kontinuierlich
über große Entfernungen nach oben bewegen, aus 120 Kilometern Tiefe bis zur
Oberfläche, erscheint ebenfalls unwahrscheinlicher als vorher. "Unsere
Hypothese lautet, dass stattdessen schnelle tektonische Prozesse stattfanden,
die zu minimalen vertikalen Verschiebungen von Platten führten." Dies
könne man sich so vorstellen: Die Platten bewegten sich im Innern der Erde
plötzlich ruckhaft ein kleines Stück nach oben - und der Druck, den das
UHP-Gestein umgab, ließ dadurch in relativ kurzer Zeit nach.
Publikation: Luisier
Cindy, Tajčmanová Lucie,
Yamato Philippe, Duretz Thibault: Garnet microstructures suggest ultra-fast
decompression of ultrahigh-pressure rocks. Nature Communications (2023) https://doi.org/10.1038/s41467-023-41310-w
Bilder zum Download:
https://www.uni-frankfurt.de/144457594
Bildtexte:
1) Tajcmanova_Lucie_c_SebastianCionoiu_UniHeidelberg.JPEG
Prof. Dr. Lucie Tajčmanová,
Universität Heidelberg, untersucht die Weißschiefer-Probe aus dem
Dora-Maira-Massiv der Westalpen. Foto: Sebastian Cionoiu, Universität
Heidelberg
2) Whiteschist_c_SebastianCionoiu_UniHeidelberg.JPEG
Für die mikroskopische Untersuchung wurde ein Dünnschnitt des Weißschiefers
auf einen Glasträger geklebt (Bildmitte). Foto: Sebastian Cionoiu, Universität
Heidelberg
3) ThinSectionSimulation_c_ThibaudDuretz.jpg
Feinstruktur
der Weißschieferprobe: Eines der rosa Granatkörner (garnet, linkes Bild,
eingebettet in die Mineralien Quarz, Rutil und Phengit) mit SiO2-Einschlüssen
(quarz inclusions), von denen Risse ausgehen (cracks). Simulationsrechnungen
(rechtes Bild) bestätigen die Interpretation der Risse als Spannungsrisse.
Bilder: Thibaut Duretz, Goethe-Universität
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Thibault Duretz
Institut für Geowissenschaften
Goethe-Universität Frankfurt
Tel. +49 (0)69 798-40128
Duretz@em.uni-frankfurt.de