DFG-Forschungsgruppe will Abstraktion im Gehirn verstehen und KI-Systeme verbessern
Wie abstraktes Wissen im Gehirn gespeichert wird, untersuchen Psycholog:innen und Informatiker:innen in der neuen DFG-Forschungsgruppe ARENA. Die Erkenntnisse sollen umgekehrt dazu beitragen, künstlich intelligente (KI)-Systeme effizienter und flexibler zu machen.
FRANKFURT.
Seitdem künstlich intelligente Systeme Objekte und Sprache zuverlässig erkennen
können, hat die KI-Forschung einen Boom erlebt. Doch nach wie vor müssen die
Systeme mit hohem Arbeits- und Energieaufwand trainiert werden – und speichern
ihr Wissen über Objekte und Wörter trotzdem anders als das menschliche Gehirn:
Moderne KI-Systeme sind in der Regel neuronale Netzwerkmodelle. Sie bestehen
aus mehreren Schichten von künstlichen Nervenzellen, die miteinander verknüpft
sind. Deshalb werden sie auch als tiefe neuronale Netze („deep neural
networks“) bezeichnet. Ein KI-System, das für die Bilderkennung und die
Spracherkennung entwickelt wurde, kann ein Bild von einer Orange (Input) mit
dem Wort „Orange“ (Output) verknüpfen. Auf andere Sinneseindrücke
verallgemeinern kann ein solches KI-System jedoch nicht – was unser Gehirn
dagegen mühelos schafft.
Denn eine der wichtigsten Eigenschaften des menschlichen Gehirns
ist die Fähigkeit zur Abstraktion: So kann unser Wissen über eine Orange
aktiviert werden, wenn wir sie sehen, sie fühlen, schmecken oder riechen. Unser
semantisches Wissen über Orangen wird also im Gehirn abstrakt abgebildet oder
repräsentiert – unabhängig davon, wie wir Orangen über die Sinne wahrnehmen.
Diese Art der abstrakten Wissensrepräsentation könnte die KI vom
menschlichen Gehirn lernen. Allerdings ist das ‚Format‘, in dem unser
semantisches Wissen im menschlichen Gehirn gespeichert ist, noch nicht gut
verstanden. Hier wiederum kann die Hirnforschung von den mächtigen KI-Modellen
profitieren. Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte
interdisziplinäre Forschungsgruppe ARENA (Abstrakte Repräsentationen in
neuronalen Architekturen) an der Goethe-Universität, dem Frankfurt Institute
for Advanced Studies (FIAS) und dem Max-Planck-Institut für Softwaresysteme in
Saarbrücken schlägt eine Brücke zwischen Informatik, Psychologie und
Neurowissenschaften, um diese Fragestellungen zu erforschen. Sie erhält in den
kommenden vier Jahren insgesamt rund 3,7 Millionen Euro.
Ein wichtiges Ziel der ARENA-Forschungsgruppe ist es zu
untersuchen, ob KI-Systeme, die mit Daten unterschiedlicher Formate – mit
Bildern, Sprache oder Videos, also mit multimodalen Daten –trainiert werden,
abstraktere oder zumindest dem menschlichen Gehirn ähnlichere Wissensformen
entwickeln. Bei diesen Arbeiten nimmt Prof. Gemma Roig, die in der
Forschungsgruppe als Brückenprofessorin zwischen Informatik und Psychologie
fungiert, eine tragende Rolle ein.
Umgekehrt interessiert die Psycholog:innen und
Neurowissenschaftler:innen, wie gut KI-Systeme die Arbeitsweise des Gehirns bei
der Verarbeitung abstrakter Bedeutungen erklären können. Dazu wollen sie
vergleichen, wie ein KI-System und das menschliche Gehirn arbeiten, wenn sie
dieselben Aufgaben lösen. Zur Beantwortung dieser Fragestellung werden
KI-Modelle als ein statistisches Werkzeug zur Analyse von Hirnaktivität
verwendet, die mit den Methoden der funktionellen Magnetresonanztomographie und
der Magnetenzephalographie am Brain Imaging Center der Goethe-Universität
während der Bearbeitung von Sprach- und Objekterkennungsaufgaben gemessen
werden. Die Forscher:innen erwarten, dass dabei auf dem höchsten
Abstraktionsgrad die gleichen Repräsentationen im Gehirn angesprochen werden.
Ein
Kernstück dieser Arbeit wird die Erhebung eines sehr großen Datensatzes an
Versuchspersonen sein, die in mehreren Untersuchungssitzungen eine ganze Reihe
von entsprechenden Aufgaben bearbeiten, während ihre Hirnaktivität gemessen
wird. „Der geplante Datensatz ist einzigartig und soll in der Zukunft auch im
Sinne des Open Science-Gedankens mit anderen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern geteilt werden“, erläutert Prof. Christian Fiebach, der
Sprecher der ARENA-Forschungsgruppe.
Doch
zunächst dienen die erhobenen Daten den Modellierer:innen in der
ARENA-Forschungsgruppe dazu, zu erforschen, ob sie KI-Systeme nach dem
biologischen Vorbild des menschlichen Gehirns flexibler und effizienter machen
können. Hierzu werden auch Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie einbezogen.
Umgekehrt möchten die Experimentator:innen von den Modellierer:innen neue
Analysetechniken lernen, um ihre Modelle des Gehirns zu präzisieren. Oder
anders gesagt: Wie lässt sich das neuronale Abbild der Orange im Gehirn besser
entschlüsseln, und wie kann diese Erkenntnis dazu beitragen, KI-Modellen in der
Zukunft ein menschenähnlicheres Wissen über die Orange zu vermitteln?
Weitere Informationen (nur in englischer Sprache)
Prof.
Dr. Gemma Roig (PhD)
Computer Science Department (FB12)
Telefon 069/798-28692
E-Mail roig@cs.uni-frankfurt.de
Homepage:
https://www.izn-frankfurt.de/mitglied/fiebach/
Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Büro PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de