Recht / Literatur

Malte Gruber / Isabell Hensel / Rudolf Wiethölter

Goya-Capricho-43 (1)_klein

Im Wintersemester 2012/2013 veranstalten wir
mittwochs von 10.15 - 11.45 Uhr in Raum RuW 2.102 (Campus Westend)
ein privatrechtstheoretisches Seminar zum Thema:

Recht / Literatur

(SPB 3 – Grundlagen des Rechts)

Entgegen einem starken Trend, Rechtswissenschaft als „rationale“, „logische“ Entscheidungswissenschaft zu lesen, wollen wir uns im Rahmen des Seminars mit der These beschäftigen, dass das moderne Rechtssystem operativ nach wie vor oder sogar verstärkt durch die Vielzahl der Anforderungen, Dynamiken und Unsicherheiten der gegenwärtigen Zukunft (und der zukünftigen Gegenwarten) auf Textualität ausgerichtet ist. Der Begriff des Textes muss dabei freilich weit verstanden werden und umfasst alle Formen der Schaffung von rechtsinternen Anschlussmöglichkeiten. 
Zur Bearbeitung dieser These wollen wir uns einer neueren Strömung der Recht-und-Literatur-Bewegung, die im Angloamerikanischen ihren Ursprung findet, zuwenden, welche über gängige Interpretationen zu Recht in der Literatur hinaus den rechtlichen Argumentationsstil ins Zentrum ihrer Analyse und dessen sachlich zwingende Argumentationsmuster in Frage stellt.
Die Forschungsrichtung Recht als Literatur interessiert sich für die Instrumente des Literaturbetriebes. Damit rückt zum einen die Sprache als gemeinsames Medium von Literatur und Recht in den Blick. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass sich das Recht literarischer Strukturen bedient, die Einfluss auf die Arbeitsweise des Rechts nehmen. Es geht also um die Bedeutung der Sprache für die Rechtsfindung. Aber auch Parallelen der Wirklichkeitskonstruktion sollen genutzt werden. Denn ausgehend von der Überlegung, dass sowohl Recht als auch Literatur ein „Wirklichkeitsproblem“ haben, also darauf angewiesen sind, ihre eigenen Wirklichkeiten, Fiktionen, Wahrheiten zu erzählen, können literaturwissenschaftliche Methoden zur Dekonstruktion herangezogen werden.
Poetik, Textualität, Hermeneutik, Narration als Begriffe der Literaturwissenschaften werden auf literarische Elemente im Recht übertragen. Damit sollen die Wechselwirkungen und Spiegelungen zwischen beiden Disziplinen produktiv genutzt und Analogien ausfindig gemacht werden. Ziel dieses Zusammenschlusses ist es, durch eine modifizierte Methode der Literaturkritik der Rechtstheorie ein neues Reflexionsniveau zu ermöglichen. Gesucht wird nach den literarischen Aspekten von Normbildung, immer im Rahmen der Frage nach den Grenzen der Disziplinenmischung. Damit wird an Forschungszweige angeschlossen, die sich mit den Kulturtechniken und den Medien des Rechts befassen. Hier liegt ein weiteres Bindeglied zwischen Recht und Gesellschaft. Und dann wird es auch möglich, neue Gerechtigkeitsfragen und ethische Dimensionen des Rechts aufzuzeigen.


I. Anfänge/ Enden

1. Termin (24.10.2012): Entzauberung der Rechtswelt
a) Friedrich Dürrenmatt, Monstervortrag über Gerechtigkeit und Recht, nebst einem helvetischen Zwischenspiel. Eine kleine Dramaturgie der Politik, 1969, in: Gesammelte Werke, Band 7, Zürich 1996, 619-690.
b) Rudolf Wiethölter, Rechtswissenschaft, Frankfurt/ M. 1986, 12-26.

2. Termin (31.10.2012): Erfahrbarkeit des Rechts – „Vor dem Gesetz“
Gunther Teubner, Das Recht vor seinem Gesetz. Zur (Un-)Möglichkeit kollektiver Selbstreflexion der Rechtsmoderne, in: Stefan Keller/ Stefan Wiprächtiger (Hg.), Recht zwischen Dogmatik und Theorie: Marc Amstutz zum 50. Geburtstag, Baden-Baden 2012, 277-296 (Ms.).

3. Termin (7.11.2012): Definitionsmacht
Marie Theres Fögen, Die Enteignung der Wahrsager: Studien zum kaiserlichen Wissensmonopol in der Spätantike, Frankfurt/M. 1997, 9-19, 79-88, 222-253.


II. Recht als Literatur

4. Termin (14.11.2012): Satirical Legal Studies
Peter Goodrich, Satirical Legal Studies: From the Legists to the Lizard, in: Michigan Law Review 103 (2004), 397-517 (in Auszügen: 397-464 und 512-517).

5. Termin (21.11.2012): Critical Legal Studies und Dekonstruktion – Lesestrategien
a) Christoph Menke, Recht und Gewalt, Berlin 2011 (in Auszügen).
b) Andreas Fischer-Lescano, Postmoderne Rechtstheorie als kritische Theorie, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 2012, im Erscheinen.

6. Termin (28.11.2012): Rechtserzählungen (Narrativität und Theatralität)
a) Klaus Günther, Variationsspielraum des Erzählbaren. Juristische Normen und individuelle Fallgeschichten: Verbindungslinien zwischen Recht und Literatur, in: Frankfurter Rundschau v. 20.11.2001, 20.
b) Thomas-Michael Seibert, Erzählen als gesellschaftliche Konstruktion von Kriminalität, in: Jörg Schönert (Hg.), Erzählte Kriminalität: zur Typologie und Funktion von narrativen Darstellungen in der Strafrechtspflege, Publizistik und Literatur zwischen 1770 und 1920, Tübingen 1991, 73-86.
c) Thomas-Michael Seibert, Gerichtsrede: Wirklichkeit und Möglichkeit im forensischen Diskurs, Berlin 2004, 11-83.

7. Termin (5.12.2012): Wissenschaft als Kunst – zu einem neuen Kunstbegriff
a) Klaus Lüderssen, 'Law as Literature' oder wenn die Wissenschaft zur Kunst wird: Dekonstruktion in der Jurisprudenz, in: ders., Produktive Spiegelungen. Recht in Literatur, Theater und Film, 2. Aufl., Baden-Baden 2002, 47-57.
b) Niklas Luhmann, Literatur als fiktionale Realität (1995), in: Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt/M. 2008, 276-291.
c) Niklas Luhmann, Literatur als Kommunikation (1996), in: Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt/M. 2008, 373-388.
d) Jürgen Habermas, Philosophie und Wissenschaft als Literatur?, in: Nachmetaphysisches Denken, Frankfurt/M. 1988, 242-263.

III. Verbindungselemente zwischen Recht und Literatur

8. Termin (12.12.2012): Rhetorische Evolution – Semantik/ Poetik/ Hermeneutik
a) Rainer Maria Kiesow, Josef Kohlers Poesie, in: Rainer Maria Kiesow/Regina Ogorek/Spiros Simitis (Hg.), Summa. Dieter Simon zum 70. Geburtstag, Frankfurt/M. 2005, 297-318.
b) Fabian Steinhauer, Gerechtigkeit als Zufall. Zur rhetorischen Evolution des Rechts, Wien/ New York 2007, 1-10, 117-150.

9. Termin (19.12.2012): Medialität und Textualität I
a) Thomas Vesting, Die Herausforderung der Medientheorie, 2008 (Ms.), abrufbar unter: <http://www.jura.uni-frankfurt.de/ifoer1/vesting/Dokumente/online-pub/53-Autopoiesis_der_Rechtskommunikation_-_Konersmann.pdf>.
b) Thomas Vesting, Das kollektive Gedächtnis und seine Medien. Der ambivalente Status der Schrift in der "westlichen Rechtstradition", NCCR Mediality Newsletter Nr. 5/2011, 3-9.
c) Thomas Vesting, Medien des Rechts: Buchdruck, § 5: Der kulturelle Rahmen des liberalen Staates (i. E.).

10. Termin (16.1.2013): Medialität und Textualität II
a) Cornelia Vismann: Akten: Medientechnik und Recht, 3. Aufl., Frankfurt/M. 2011, 7-29, 67-126.
b) Cornelia Vismann, Geschichtenerzähler vor dem Recht. Akten und „Litteralien“ entstammen demselben Wahrheitsparadigma, in: Frankfurter Rundschau v. 11.12.2001, 20.

11. Termin (23.1.2013): Lesbarkeit des Rechts
Ino Augsberg, Die Lesbarkeit des Rechts. Texttheoretische Lektionen für eine postmoderne juristische Methodologie, Weilerswist 2009, 7-25 und 143-193.

IV. Literatur als/im Recht

12. Termin (30.1.2013): Rechtsbezüge in der klassischen Literatur – Jean Paul, Friedrich Schiller
a) Jean Paul, Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hoch-zeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel, Berlin 1796/97, Neuntes und Zehntes Kapitel.
b) Jean Paul, Vorschule der Ästhetik: nebst einigen Vorlesungen in Leipzig über die Parteien der Zeit, 2. Aufl., Stuttgart/ Tübingen 1813, Zweite Abteilung, IX. Programm. Über den Witz; sowie ders., Kleine Nachschule zur ästhetischen Vorschule, IX. Programm. Über den Witz. 
c) Michael Stolleis, Advocatus Pauperum, NJW 1994, 1933-1935.
d) Friedrich Schiller, Der Verbrecher aus verlorener Ehre. Eine wahre Geschichte von Friedrich Schiller: Aufs Neue ans Licht geholt und mit Erkundungen zum Dichter- und Räuberleben der republikanischen Freiheit des lesenden Publikums anheimgestellt von Horst Brandstätter, Berlin 1984, 7-34.
e) Jutta Limbach, Schiller und das Recht, in: Ulrich Ott (Hg.), Marbacher Schillerreden, Marbach 2001, abrufbar unter: <http://www.mediaculture-online.de/Autoren-A-Z.253+M5a9bd8b0923.0.html>.
f) Klaus Lüderssen, „Daß nicht der Nutzen des Staats Euch als Gerechtigkeit erscheine“. Schiller und das Recht, Frankfurt/M. 2005, 7-9, 81-93, 187-201.

13. Termin (6.2.2013): Rechtsbezüge in der jüngeren Literatur – Max Frisch
Klaus Günther, Poetische Gerechtigkeit in Recht und Literatur – Max Frischs Homo Faber, in: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (ZIS) 5 (1/2010), 8-19, abrufbar unter: http://www.zis-online.com/dat/artikel/2010_1_399.pdf .

14. Termin (13.2.2013): Rechtsbezüge in der jüngeren Literatur – Bernhard Schlink
Dirk Fabricius, Justitia, Freud und die Dichter. Rechtspsychoanalytische Betrachtungen literarischer Texte, Gießen 2012, 8. Kap. Entsinnlichung: Der alphabetische Fluch. Bernhard Schlink: Der Vorleser, 179-215.

Organisatorisches:


Die Veranstaltung wird im Wintersemester 2012/2013 – beginnend am 24.10.2012 – mittwochs, 10.00 c.t. bis 11.45 Uhr in Seminarraum RuW 2.102 (2. OG) stattfinden. Das Seminar gilt als Schwerpunktbereichsveranstaltung für den Schwerpunktbereich Grundlagen des Rechts (SPB 3). Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften sind ebenfalls willkommen. Den Seminarreader können Sie gegen Ende der Semesterferien bei „Copy am Campus“, Parkstraße 20 (Nähe Bushaltestelle Campus Westend) erhalten. Einen Leistungsnachweis kann erwerben, wer nach Absprache mit den Dozenten einen mündlichen Vortrag nebst schriftlicher Ausarbeitung zu einem der Texte oder einer übergreifenden, seminarbezogenen Fragestellung anfertigt. Die Arbeit sollte einen Umfang von ca. 20 Seiten haben und mit einem wissenschaftlichen Fußnotenapparat sowie einer Bibliographie versehen sein. Einzelheiten werden zu Beginn des Semesters gesondert besprochen. Zur Anmeldung und Vormerkung für eines der Seminarthemen wenden Sie sich bitte an Dr. Malte Gruber, RuW 3.145, oder schreiben Sie eine E-Mail an <gruber@jur.uni-frankfurt.de>.


Das vollständige Seminarprogramm erhalten Sie hier als pdf.