Rechts-Kräfte

Malte Gruber / Isabell Hensel / Rudolf Wiethölter

Goya-Capricho-43 (1)_klein

Im Sommersemester 2013 veranstalten wir
mittwochs von 16.15 - 17.45 Uhr in Raum RuW 2.102 (Campus Westend)
ein privatrechtstheoretisches Seminar (SPB 3 – Grundlagen des Rechts)
zum Thema:



Rechts-Kräfte: Bedingungen der Möglichkeit einer Selbsttranszendierung des Rechts



Das Seminarthema greift bekannte Fragestellungen der Rechtskraft auf, um sie in bisherige Seminar- und Theoriezusammenhänge einzubetten.
Rechtskraft scheint ein der juristischen Dogmatik und politischen Programmen durchaus geläufiger Begriff zu sein: Wie wirkt Recht? Wie verschafft es sich Geltung? Wie gelingt es ihm, in Kraft zu treten und zu bleiben? Aber schon an den vielfältigen Differenzierungen von formeller und materieller Rechtskraft, von prozessualen Möglichkeiten der Rechtskraftdurchbrechung oder auch der Beseitigung der Rechtskraft rechtswidrigen Rechts wird erkennbar, dass die dogmatische Begriffsfassung die Paradoxie, den „mystischen Grund der Autorität“ des Rechts und seiner Gesetze allenfalls verschleiern kann. Offenbar ist Rechtskraft weder mit einer „inneren“, reinen Rechtsgeltung noch mit einer äußeren Rechtswirksamkeit identifizierbar: „Die Gesetze kennen heißt nicht, sich an ihre Wörter, sondern an ihre Kraft und ihr Vermögen zu halten.“ (Celsus, Dig. 1, 3, 17)
Wenn Gesetze nicht alleine aus ihrem Wortlaut, aber auch nicht aus einer außerhalb des Rechts liegenden Autorität heraus zugänglich sind, sondern vielmehr eine eigene vis ac potestas haben, dann muss Rechtskraft als Teil des Rechts anders, und das heißt: als das Andere des Rechts im Recht verstanden werden. Das eröffnet dem Recht neue Perspektiven, sich selbst anders, außerhalb seiner spezifischen Rechtssprache, seines Rechtscodes, womöglich sogar außerhalb der Kommunikation zu erfahren – mit anderen Worten: sich selbst, „von innen“ zu transzendieren, um sich von falschen Vorannahmen von Gebundenheit, von verfremdeten Sachverhalten, von falschen Begriffsfronten, -naturen und -wesen zu befreien und fremden Erfahrungswelten etwa im Wege einer empathischen Resonanz gerecht zu werden. Eine solche Ästhetik des Rechts fordert die Selbstreflexionsmechanismen des Rechts heraus. Rechtskraft verweist dann auf das Vermögen, den Kräften der Imagination ihren Lauf zu lassen, um Möglichkeitsräume freizuhalten, um Zukünfte offenzuhalten – und nicht zuletzt um das Rechtsbewusstsein zu bewahren, dass es auch anders sein könnte. Dazu gehört gewiss auch eine Sehnsucht nach etwas, das dem Recht fehlt, ohne dass man es unbedingt bisher vermisst hätte. Mit diesem Wissen könnte es vielleicht zu Gerechtigkeit kommen: Gerechtigkeit im Recht mit Recht gegen Recht zu Recht – insbesondere: Gerechtigkeit als mögliche Erfüllung der Sehnsucht nach dem Anderen des Rechts, die nicht jedoch zum Verlust seiner Ordnung und Regelhaftigkeit führt.


Themen:

1. Termin (24.4.2013): Rechtskraft – Befreiungsästhetik des Rechts
Andreas Fischer-Lescano, Rechtskraft, 2013 (i. E.)

2. Termin (8.5.2013): Reflexive Kraft – Stoff und Form
Christoph Menke, Stoff und Form: Die doppelte Selbstreflexion des Rechts, Ms. 2012.

3. Termin (15.5.2013): Mediale Kraft – Sprache und Schrift/ Nomos und Narrative
a) Thomas Vesting, Medialität des Rechts. Zur Genese des Verhältnisses von Sprache und Schrift in der „westlichen Rechtstradition“, in: Ino Augsberg/ Sophie-Charlotte Lenski (Hg.), Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt des Rechts. Annäherungen zwischen Rechts- und Literaturwissenschaft, München 2012, 149-172.
b) Katrin Trüstedt, Nomos und Narrative: Zu den Verfahren in der Orestie, in: Ino Augsberg/ Sophie-Charlotte Lenski (Hg.), Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt des Rechts. Annäherungen zwischen Rechts- und Literaturwissenschaft, München 2012, 59-78.

4. Termin (22.5.2013): Einbildungskraft – poetische Imagination/ soziale Phantasie
Karlheinz Barck, Poesie und Imagination: Studien zu ihrer Reflexionsgeschichte zwischen Aufklärung und Moderne, Teil I, 61-126.

5. Termin (29.5.2013): Triebkraft – Affekte und Mimesis
Martin Jay, Mimesis und Mimetologie, Adorno und Lacoue-Labarthe, in: Gertrud Koch (Hg.), Auge und Affekte, Frankfurt a. M., 1995, 175-201.

6. Termin (5.6.2013): Transzendente Kraft – Aporien eines nach­metaphysischen Denkens
a) Jürgen Habermas, Exkurs: Transzendenz von innen – Transzendenz ins Diesseits, in: Texte und Kontexte, Frankfurt a. M. 1991, 127-156, wiederabgedruckt in: Kritik der Vernunft, Philosophische Texte, Band 5, Frankfurt a. M. 2009, 417-450.
b) Ders., Versprachlichung des Sakralen, in: ders., Nachmetaphysisches Denken II, Berlin, 2012, 7-18.

7. Termin (12.6.2013): Körperkraft – Selbstbeschränkungen der Kommunikation
a) Gunther Teubner, Die anonyme Matrix: Zu Menschenrechtsverletzungen durch „private“ transnationale Akteure, Der Staat 45 (2006), 161-187.
b) Niklas Luhmann, Das Paradox der Menschenrechte und drei Formen seiner Entfaltung, in: ders. Soziologische Aufklärung 6, 2.Aufl. 2005, 218-225.

8. Termin (19.6.2013): Gesetzeskraft – Gerechtigkeit „à-venir“
Jacques Derrida, Gesetzeskraft. Der „mystische Grund der Autorität“, Frankfurt a. M. 1991.

9. Termin (26.6.2013): Normative Kraft – Norm(ativitäts-)produktionen
a) Rudolf Wiethölter, Zum Fortbildungsrecht der (richterlichen) Rechtsfortbildung. Fragen eines lesenden Recht-Fertigungslehrers, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1988, 1-28.
b) Marc Amstutz, Der zweite Text. Für eine Kritische Systemtheorie des Rechts, in: ders. und Andreas Fischer-Lescano (Hg.), Kritische Systemtheorie, i.E.

10. Termin (3.7.2013): Immanente Kraft – „existieren machen und nicht richten“
a) Gilles Deleuze, Schluss mit dem Gericht, in: Kritik und Klinik, Frankfurt a. M. 2000, 171-183.
b) Ders., Die Immanenz: ein Leben..., in: Friedrich Balke/ Joseph Vogl (Hg.), Gilles Deleuze – Fluchtlinien der Philosophie, München 1996, 29-33.

11. Termin (10.7.2013): Kraft des Universalisierenden – diskursive Überschreitungen
François Jullien, Das Universelle, das Einförmige, das Gemeinsame und der Dialog zwischen den Kulturen, Berlin 2009, Kap. X und XI, 129-173.

12. Termin (17.7.2013): Gesellschaftliche Kraft – Kampf ums Recht
a) Sonja Buckel, Zwischen Schutz und Maskerade – Kritik(en) des Rechts, in: Alex Demirovic (Hg.): Kritik und Materialität, Münster 2008, S. 110-131.
b) Sonja Buckel, Die juridische Verdichtung der Kräfteverhältnisse, in: Poulantzas lesen, Hamburg 2006, 171-187.



Organisatorisches:

Die Veranstaltung wird im Sommersemester 2013 – beginnend am 24.4.2013 – mittwochs, 16.00 c.t. bis 17.45 Uhr in Seminarraum RuW 2.102 (2. OG) stattfinden. Das Seminar gilt als Schwerpunktbereichsveranstaltung für den Schwerpunktbereich Grundlagen des Rechts (SPB 3). Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften sind ebenfalls willkommen. Den Seminarreader können Sie gegen Ende der Semesterferien bei „Copy am Campus“, Parkstraße 20 (Nähe Bushaltestelle Campus Westend) erhalten. Einen Leistungsnachweis kann erwerben, wer nach Absprache mit den Dozenten einen mündlichen Vortrag nebst schriftlicher Ausarbeitung zu einem der Texte oder einer übergreifenden, seminarbezogenen Fragestellung anfertigt. Die Arbeit sollte einen Umfang von ca. 20 Seiten haben und mit einem wissenschaftlichen Fußnotenapparat sowie einer Bibliographie versehen sein. Einzelheiten werden zu Beginn des Semesters gesondert besprochen. Zur Anmeldung und Vormerkung für eines der Seminarthemen wenden Sie sich bitte an Dr. Malte Gruber, RuW 3.145, oder schreiben Sie eine E-Mail an gruber@jur.uni-frankfurt.de.


Das vollständige Seminarprogramm erhalten Sie hier als pdf.