Theorie des Wettbewerbs / Wettbewerb als Theorie: Kompetitive Gerechtigkeitsmodelle

Malte Gruber / Rudolf Wiethölter

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Im Sommersemester 2012 veranstalten wir
mittwochs von 10:15 - 11:45 Uhr in Raum RuW 2.101 (Campus Westend)
ein privatrechtstheoretisches Seminar zum Thema:

Theorie des Wettbewerbs / Wettbewerb als Theorie: Kompetitive Gerechtigkeitsmodelle

(SPB 3 - Grundlagen des Rechts)
 

Wettbewerbstheorien konzentrieren sich für gewöhnlich auf die kausalen Wirkungen von Konkurrenzverhältnissen zwischen wirtschaftlich handelnden Akteuren. Märkte mit einer Mehrheit von Anbietern und Nachfragern sollen auf der Basis von rechtlichen Freiheits- und Eigentumsgarantien dazu imstande sein, staatliche Steuerung im privaten Bereich entbehrlich zu machen, indem sie eine eigene Normativität entfalten: Auf diese Weise versprechen sie vor allem eine optimale Koordination und Anpassung der Marktteilnehmer, eine effiziente Allokation von Ressourcen und nicht zuletzt die Schaffung weiterer Anreize zu Innovationen. Häufig verbindet sich damit auch der sozialpolitische Gedanke einer (markt-/ leistungs-/ bedarfs-)gerechten Einkommens- und Vermögensverteilung. Unterstellt wird dabei im Allgemeinen, dass „Wettbewerbsgerechtigkeit“ und „Wettbewerbsordnung“ als Wirtschaftsverfassungsrecht eine einheitliche, gesellschaftsweite Geltung beanspruchen könnten, die durch politische Interventionen gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie durch rechtliche Gewährleistungen von „Wettbewerbsfreiheit“ bloß noch abzustützen wäre. Die wirtschaftsliberale Utopie einer von staatlichen Einwirkungen frei zu haltenden Harmonie des Marktes gilt zwar auf den ersten Blick als überwunden, liegt aber auch jüngeren Ansätzen zur (oft als Einheitskonzept verstandenen) „Wettbewerbstheorie“ zugrunde. Die Vorstellung, dass „faire“, „lautere“ Wettbewerbe zu gerechten oder zumindest akzeptablen Ergebnissen führen, beschränkt sich aber keineswegs auf das Handlungsfeld ökonomisch-rationaler Akteure. Sie gehört auch zu den Grundgedanken prozeduraler Konfliktlösungsstrategien, wie sie etwa in der Forderung nach fairem Verfahren und „Waffengleichheit“ für Prozessparteien oder einem diskursiven Wettbewerb um die besseren Argumente zum Ausdruck kommen. Die Hoffnung darauf, dass sich kognitive und normative Geltungsansprüche in einem rationalen Diskurs einlösen lassen oder zumindest in einem evolutiven Prozess „in the long run“ als Wahrheit und Gerechtigkeit obsiegen, rückt solche Modelle der Wettbewerbsgerechtigkeit in die Nähe der Wette: Den Wetteinsatz versprechen sie als probabilistische Annahmen oder Verheißungen über eine ungewisse Zukunft insofern einzulösen, als sie sich zumindest als eine bessere Alternative zur Nichtentscheidung des Unentscheidbaren darstellen. Theorien des Wettbewerbs setzen damit zugleich auf ihre eigene Durchsetzung im Wettbewerb der Theorien. Offenbar teilen ökonomische, rechtliche, politische und philosophische Konzeptionen eine feste Grundorientierung an kompetitiven Gerechtigkeitsmodellen, deren geistige Ursprünge sich weit zurückverfolgen lassen.




Themen

 

I. Ursprünge: Wettkampf um Wahrheit
 

1.  Termin (18.4.2012): Gerechtigkeit ‚im Urteil der Waffen‘
a) Heinrich von Kleist, Der Zweikampf (1811), abrufbar unter: <http://www.digbib.org/Heinrich_von_Kleist_1777/Der_Zweikampf_.pdf>.
b) Cornelia Vismann, Medien der Rechtsprechung, 2011, 17-96.

2.  Termin (25.4.2012): Waffengleichheit im Zivilprozess
a) BVerfGE 52, 131 = JZ 1979, 596 (Beweislast im Arzthaftungsprozess).
b) EGMR NJW 1995, 1413 (Zeugenanhörung einer Partei).
c) Reinhard Greger, Vom „Kampf ums Recht“ zum Zivilprozeß der Zukunft, Juristenzeitung 1997, 1077-1083.

3.  Termin (2.5.2012): Wetten auf Wahrheit
Michel Serres, Der Naturvertrag, 1994, 11-45 und 145-159.

4.  Termin (9.5.2012): Agone/ Agonien um Gerechtigkeit
a) Jan Assmann, Gerechtigkeit, Vergänglichkeit und Gedächtnis im alten Ägypten, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 117 (2000), 30-42.
b) Eckart Otto, Recht und Ethos in der ost- und westmediterranen Antike. Entwurf eines Gesamtbildes, in: Markus Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog, Festschrift für Otto Kaiser zum 80. Geburtstag, Band I, 2004, 91-109.

 

II. Prozesse und Märkte: Wettbewerbsgerechtigkeit
 

5.  Termin (16.5.2012): Wettlauf / Spiel um symbolisches Kapital
Pierre Bourdieu, Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, 1998, 139-182.

6.  Termin (23.5.2012): Beobachtung am Markt
Niklas Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, 1988, Kap. 3, 91-130.

7.  Termin (30.5.2012): Wirtschaftsverfassungsrecht
a) BVerfGE 50, 290 (Mitbestimmung).
b) Rudolf Wiethölter, Rechtswissenschaft, 1968 (Neudruck 1986), 246-281.

8.  Termin (6.6.2012): Wirtschaftsordnung
Ernst-Joachim Mestmäcker, A Legal Theory without Law: Posner v. Hayek on Economic Analysis of Law, 2007, 9-62.

 

III. Übergänge: Evolution der Gerechtigkeit
 

9.  Termin (13.6.2012): Ökonomische Evolutionstheorie des Rechts
a) Friedrich August von Hayek, Die Irrtümer des Konstruktivismus und die Grundlagen legitimer Kritik gesellschaftlicher Gebilde, in: Die Anmaßung von Wissen. Neue Freiburger Studien (hg. v. Wolfgang Kerber), 1996, 16-36.
b) Ders., Recht, Gesetz und Freiheit (hg. v. Viktor Vanberg), 2003, Kap. 10: Die marktliche Ordnung oder Katallaxie, 258-283.

10.  Termin (20.6.2012): Immaterialgüterrechtlicher Innovationswettbewerb
Thomas Vesting, Subjektive Freiheitsrechte als Elemente von Selbstorgani-sations- und Selbstregulierungsprozessen in der liberalen Gesellschaft – dargestellt am Beispiel der Bedeutung der Intellectual Property Rights in der neuen Netzwerkökonomie, Manuskript 2000, abrufbar unter: <http://www.jura.uni-frankfurt.de/ifoer1/vesting/Dokumente/online-pub/Sub_Freiheitsrechte.pdf>.

11.  Termin (27.6.2012): Rationaler Fortschritt
Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 4. A. 1994, 15-60 und 272-291.

12.  Termin (4.7.2012): Komplexitätssteigerung
Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, Kap. 6, 239-296.

13.  Termin (11.7.2012): „Blinde Rechtsevolution“ / (andere) Diskursgerechtigkeit
a)  Gunther Teubner, Recht als autopoietisches System, 1989, 61-80.
b) ders., Altera Pars Audiatur: Das Recht in der Kollision anderer Universalitätsansprüche, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 65, 1996, 199-220, abrufbar unter: <http://www.jura.uni-frankfurt.de/l_Personal/em_profs/teubner/dokumente/Altera_pars_audiatur.pdf>.
c) Thomas Vesting, Rechtstheorie, 2007, 137-157 (Rn. 261-297).

 

Organisatorisches:

Die Veranstaltung wird im Sommersemester 2012 – beginnend am 18.4.2012 – mittwochs, 10.00 c.t. bis 11.45 Uhr in Seminarraum RuW 2.101 (2. OG) stattfinden. Das Seminar gilt als Schwerpunktbereichsveranstaltung für den Schwerpunktbereich Grundlagen des Rechts (SPB 3). Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften sind ebenfalls willkommen. Den Seminarreader können Sie gegen Ende der Semesterferien bei „Copy am Campus“, Parkstraße 20 (Nähe Bushaltestelle Campus Westend) erhalten. Einen Leistungsnachweis kann erwerben, wer nach Absprache mit den Dozenten einen mündlichen Vortrag nebst schriftlicher Ausarbeitung zu einem der Texte oder einer übergreifenden, seminarbezogenen Fragestellung anfertigt. Die Arbeit sollte einen Umfang von ca. 20 Seiten haben und mit einem wissenschaftlichen Fußnotenapparat sowie einer Bibliographie versehen sein. Einzelheiten werden zu Beginn des Semesters gesondert besprochen. Zur Anmeldung und Vormerkung für eines der Seminarthemen wenden Sie sich bitte an Dr. Malte Gruber, RuW 3.145, oder schreiben Sie eine E-Mail an <gruber@jur.uni-frankfurt.de>.

 

Das vollständige Seminarprogramm erhalten Sie hier als pdf.