"Rechtsmaterie" - Physische, psychische und technische Umweltbedingungen des Rechts

Malte Gruber / Stefan Häußler / Rudolf Wiethölter

Im Wintersemester 2009/2010 veranstalten wir mittwochs von 10.15 bis 11.45 Uhr in RuW 2.102 ein rechtstheoretisches Seminar zum Thema:

"Rechtsmaterie" - Physische, psychische und technische Umweltbedingungen des Rechts

(SPB 3)


Die Natur- und Technikwissenschaften haben sich in den letzten Jahrzehnten derart dynamisch fortentwickelt, dass ihre Deutungsmacht in den Bereichen des Menschlichen, des Natürlichen und Technischen, aber auch des Geistigen, Sozialen und Kulturellen nun auch in der Lebenswelt spürbar geworden ist. Deren fortschreitender „Technisierung“ entspricht eine im Recht beobachtbare personale Funktionalisierung des menschlichen Körpers, wie sie ein Begründungssatz des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes beispielhaft zum Ausdruck bringt: „Schutzgut des § 823 I BGB ist nicht die Materie, sondern das Seins- und Bestimmungsfeld der Persönlichkeit, das in der körperlichen Befindlichkeit materialisiert ist“ (BGHZ 124, 52, 54). Die Wirkungen neuerer Technologien zeigen sich dabei insbesondere in jüngeren Konflikten, die sich als Folge eines durch eine technisch produzierte Natur modifizierten Naturbegriffs sowie eines gleichzeitig gewandelten Technikbegriffs, der zunehmend „Natürliches“ einschließt, verstehen lassen. Im Mittelpunkt steht in allen diesen Fällen der Mensch, genauer: der Mensch als Person, als Körper, als Träger von immateriellen Ressourcen oder auch als Besitzer wertvoller Informationen. Doch was heißt es überhaupt, eine Person oder ein Körper zu „sein“ – oder etwa eine Persönlichkeit oder einen Körper zu „haben“? Was bedeutet es ferner, „Träger“ oder „Besitzer“ geistiger oder immaterieller Güter zu sein? Wo liegen insbesondere die Grenzen des Personen- und Persönlichkeitsschutzes, des menschlichen Körpers wie auch seines Geistes? Wenn Konflikte zu Rechtsfällen werden, lassen sich derartige Fragen nicht mehr mit einem bloßen Verweis auf eine  (scheinbar) evidente Übereinstimmung von Person, Mensch, Geist und individuellem Körper erledigen. Vielmehr muss wieder verstärkt danach gefragt werden, inwieweit Gesellschaft und Recht durch ihre nicht-kommunikativen Umwelten, aber auch durch technische Medien geprägt werden. Ein genauerer Blick auf diese „Materialisierungen“ und „Mediatisierungen“ des Rechts könnte dazu beitragen, dessen lebendigen und psychischen Umwelten – anders ausgedrückt: dem „Menschen aus Fleisch und Blut“ – gerecht zu werden.


Themen
 

I. Kommunikation des Rechts
 

1. Termin (21.10.2009): Der I. und der VI. Zivilsenat
a) Gert Brüggemeier, „»Du sollst Dir kein Bildnis machen …«  – Der I. Zivilsenat des BGH und die Paradoxien des Persönlichkeitsrechts“, in: Gralf-Peter Calliess / Andreas Fischer-Lescano / Dan Wielsch / Peer Zumbansen (Hg.), Soziologische Jurisprudenz, Festschrift für Gunther Teubner zum 65. Geburtstag, Berlin 2009, S. 231-248.
b) BGHZ 124, 52.

2. Termin (28.10.2009): Naturverflochtene Vernunft
a) Jürgen Habermas, „Einleitung“, in: Kritik der Vernunft. Philosophische Texte, Studienausgabe Band 5, Frankfurt a. M. 2009, S. 9-32.
b) Ders., „»Ich selber bin ja ein Stück Natur« - Adorno über die Naturverflochtenheit der Vernunft. Überlegungen zum Verhältnis von Freiheit und Unverfügbarkeit“, in: Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt a. M. 2005, S. 187-215.

3. Termin (4.11.2009): Realitätsverdoppelung
Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 2. Auflage, Opladen 1996, Kap. 1, 10, 11, 15 (S. 9-23, 130-157, 190-205).

4. Termin (11.11.2009): Mehrsystemrelevanz
Dan Wielsch, „Iustitia mediatrix: Zur Methode einer soziologischen Jurisprudenz“, in: Gralf-Peter Calliess / Andreas Fischer-Lescano / Dan Wielsch / Peer Zumbansen (Hg.), Soziologische Jurisprudenz, Festschrift für Gunther Teubner zum 65. Geburtstag, Berlin 2009, S. 395-414.
Dan Wielsch wird anwesend sein.

 

II. Körper und Psyche des Rechts
 

5. Termin (18.11.2009): Praxis als Materialisierung
a) Sonja Buckel, „Körper und Psyche in der Matrix des Rechts“, in: Gralf-Peter Calliess / Andreas Fischer-Lescano / Dan Wielsch / Peer Zumbansen (Hg.), Soziologische Jurisprudenz, Festschrift für Gunther Teubner zum 65. Geburtstag, Berlin 2009, S. 19-36.
b) Gunther Teubner, „Die anonyme Matrix: Zu Menschenrechtsverletzungen durch ‚private‘ transnationale Akteure“, in: Der Staat 45 (2006), S. 161-187 [abrufbar unter: http://www.jura.uni-frankfurt.de/ifawz1/teubner/dokumente/GlobalJustice_dt_Seminar.pdf].
Sonja Buckel wird anwesend sein.

6. Termin (25.11.2009): Psychosozialität
Peter Fuchs, Die Psyche. Studien zur Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt, Weilerswist 2005, S. 9-15, 77-118.

7. Termin (2.12.2009): Narration
Fritz Breithaupt, Kulturen der Empathie, Frankfurt a. M. 2009, S. 152-193

8. Termin (9.12.2009): „Der Personalismus stirbt, die Person kehrt zurück.“
Paul Ricœur, „Annäherungen an die Person (1990)“, in: Vom Text zur Person. Hermeneutische Aufsätze (1970-1999), übersetzt und herausgegeben von Peter Welsen, Hamburg 2005, S. 227-249.

 

III.  (Bio-)Informationstechnik des Rechts
 

9. Termin (16.12.2009): „Die Seele kehrt zurück.“
a) Malte Gruber, „Lebenswerk“, in: Gralf-Peter Calliess / Andreas Fischer-Lescano / Dan Wielsch / Peer Zumbansen (Hg.), Soziologische Jurisprudenz, Festschrift für Gunther Teubner zum 65. Geburtstag, Berlin 2009, S. 299-314.
b) Gunther Teubner, „Elektronische Agenten und grosse Menschenaffen: Zur Ausweitung des Akteursstatus in Recht und Politik“, in: Paolo Becchi / Christoph Beat Graber / Michelle Luminati (Hg.), LBR / Interdisziplinäre Wege in der juristischen Grundlagenforschung, Band 25, Zürich 2008, S. 1-30 [abrufbar unter: http://www.jura.uni-frankfurt.de/ifawz1/teubner/dokumente/aktanten_dt.pdf].

10. Termin (13.1.2010): Biosozialität
a) Paul Rabinow, „Artifizialität und Aufklärung. Von der Soziobiologie zur Biosozialität“, in: Anthropologie der Vernunft. Studien zu Wissenschaft und Lebensführung, herausgegeben und übersetzt von Carlo Caduff und Tobias Rees, Frankfurt a. M. 2004, S. 129-152.
b) Ders., „Fragmentierung und Würde in der Spätmoderne“, a.a.O., S. 153-178.

11. Termin (20.1.2010): Re-Assemblagen
Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, Frankfurt a. M. 2007, S. 9-38, 329-377.

12. Termin (27.1.2010): Logik der Vernetzung
Thomas Vesting, „Das Internet und die Notwendigkeit der Transformation des Datenschutzes“, in: Karl-Heinz Ladeur (Hg.), Innovationsoffene Regulierung des Internet. Neues Recht für Kommunikationsnetzwerke, Baden-Baden 2003, S. 155-190.
Thomas Vesting wird anwesend sein.

13. Termin (3.2.2010): Lebendig-körperliche oder technische Sozialität
a) Gesa Lindemann, „Lebendiger Körper – Technik – Gesellschaft“, in: Karl-Siegbert Rehberg (Hg.), Die Natur der Gesellschaft, Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006, Teilband 2, Frankfurt a. M. / New York 2008, S. 689-704.
b) Ingo Schulz-Schaeffer, „Technik als sozialer Akteur und als soziale Institution. Sozialität von Technik statt Postsozialität“, a.a.O., S. 705-719.

14. Termin (10.2.2010): Mensch-Computer-Assoziationen
Vaios Karavas, „Grundrechtsschutz im Web 2.0: Ein Beitrag zur Verankerung des Grundrechtsschutzes in einer Epistemologie hybrider Assoziationen zwischen Mensch und Computer“, erscheint voraussichtlich in: Thomas Groß / Martin Eifert (Hg.), Das Internet zwischen egalitärer Teilhabe und ökonomischer Vermachtung, Frankfurt a. M. / New York 2009.
Vaios Karavas wird anwesend sein.



Literaturhinweise finden Sie hier als pdf.