Rechtfertigungsmuster. Metaphern, Bilder, Figuren, Modelle, Konstruktionen

Malte Gruber / Isabell Hensel / Rudolf Wiethölter

Schnittmuster

Im Sommersemester 2011 veranstalten wir
mittwochs von 16:15 - 17:45 Uhr in Raum RuW 2.102 (Campus Westend)
ein privatrechtstheoretisches Seminar zum Thema:

Rechtfertigungsmuster.
Metaphern, Bilder, Figuren, Modelle, Konstruktionen
(SPB 3)

 


Recht fertigt sich, indem es sich unter Rückgriff auf Begriffe, Symbole, Bilder und Metaphern auf seine eigene Art sichtbar macht, oder in den Worten Josef Kohlers: „Alle unsere Konstruktionen haben es mit Bildern zu thun, welche uns die Eigenart des einzelnen Rechts zu leichterer Anschauung zu bringen haben.“ Dabei baut das Recht auf „begriffliche Schärfe“ und erweckt den Anschein, dass es seine Begriffe in ihrem wahren Gehalt, seine Institute in ihrem wahren Kern, seine Wirklichkeit als die einzig wahre bestimmen könnte.
Die symbolischen Operationen des Rechts und seine ausgefeilte juristische Rhetorik verschleiern dabei einen abstrakten Formalismus, der in der Rechtskritik als Entfremdungs- und Enteignungsprozess bezeichnet wird: Das Recht kann die gesellschaftlichen Konflikte nicht vollständig erfassen, geschweige denn lösen. Statt­dessen kann es sie nur in spezifische, von sozialen Kontexten losgelöste Rechtsfra­gen und -bilder übersetzen. Recht konstruiert damit seine eigene Wirklichkeit und seine eige­nen Rechtsfälle in seiner eigenen bildhaften Rechtssprache, um sie in rechtlichen Kategorien entscheidbar zu machen.
An diesem zirkulären Verweisungszusammenhang wird der blinde Fleck des Faches deutlich. Hier setzt die Aufgabe von Rechtstheorie und Rechtssoziologie an. Der Beobachterstatus erlaubt es, leere Tautologien, unproduktive Selbstreferenzen und rigide Formalismen aufzudecken. Aus dieser Perspektive kann gefragt werden, wie das Recht seine Begriffe und Wirklichkeiten konstruiert, wie es Paradoxien und Unentscheidbarkeiten durch Bilder verdeckt, wie es auf gesellschaftliche Bilder und Symbole zurückgreift und zurückwirkt, auf welche Weise es ihre „Schärfe“ und Richtigkeit herstellt und über eigene Argumentationsmuster rechtfertigt, wie es Rechtsfiguren erzeugt und semantische Leerstellen über Symbole und Bilder füllt, kurz: wie es sich als Recht fertigt.




Themen


I. Recht: Metaphern, Bilder, Figuren
 

1. Termin (20.4.2011): Symbolische Rechtsform
Ernst Cassirer, „Vom Wesen und Werden des Naturrechts“, 1932, in: Gesammelte Werke, Band 18, 2009, 203-227.
Ders., „Axel Hägerström. Eine Studie zur schwedischen Philosophie der Gegenwart“, 1939, 4. Kapitel: Recht und Mythos, in: Gesammelte Werke, Band 21, 2009, 81-105.

2. Termin (27.4.2011): Sehendes Recht
Michael Stolleis, Das Auge des Gesetzes. Geschichte einer Metapher, 2004.
Ralf Konersmann (Hg.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern, 2. A. 2008 (WphM): „Sehen“.

3. Termin (4.5.2011): Erkennendes Recht
Michel Foucault, Die Wahrheit und die juristischen Formen, 2003, 9-51.
Joachim Ritter u.a., Historisches Wörterbuch der Philosophie, 1971 ff. (HWPh): „Wahrheit“ (Auszug).

4. Termin (11.5.2011): Realfiktionen
Gunther Teubner und Peer Zumbansen, „Rechtsentfremdungen: Zum gesellschaftli­chen Mehrwert des zwölften Kamels“, in: Gunther Teubner (Hg.), Die Rückgabe des zwölften Kamels: Niklas Luhmann in der Diskussion über Gerechtigkeit, 2000, 189-215.
HWPh: „Fiktion“.


II. Fertigung: Modelle
 

5. Termin (18.5.2011): Modellierendes Recht
Rudolf Wiethölter, „Sozialwissenschaftliche Modelle im Wirtschaftsrecht“, Kritische Justiz 1985, 126-139.
Horst Eidenmüller, „Rechtswissenschaft als Realwissenschaft“, Juristenzeitung 1999, 53-61.
WphM: „Bauen“ und „Grenze“.

 6. Termin (25.5.2011): Wahres Recht
Niklas Luhmann, „Wie lassen sich latente Strukturen beobachten?“, in: Paul Watzlawick/Peter Krieg (Hg.), Das Auge des Betrachters. Beiträge zum Konstrukti­vismus, 2. A. 2008, 61-74.
Peter M. Hejl, „Fiktion und Wirklichkeitskonstruktion. Zum Unterschied zwischen Fiktionen in Recht und Literatur“, a.a.O., 101-115.
HWPh: „Wirklichkeit“.

7. Termin (1.6.2011): Paradoxales Recht
Christoph Menke, Spiegelungen der Gleichheit, 2000, Kap. 3 und 6 (87-108 und 157-179).
WphM: „Spiegel“.

8. Termin (8.6.2011): Paradoxiekritik
Jochen Bung, „Das Bett des Karneades. Zur Metakritik der Paradoxologie“, in: Winfried Brugger/Ulfrid Neumann/Stephan Kirste (Hg.), Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert, 2008, 72-89.
Klaus Günther, „Kopf oder Füße? Das Rechtsprojekt der Moderne und seine ver­meintlichen Paradoxien“, in: Rainer Maria Kiesow/Regina Ogorek/Spiros Simitis (Hg.), Summa. Dieter Simon zum 70. Geburtstag, 2005, 255-274.
HWPh: „Kritik“ (Auszug).

III. Muster: Konstruktionen
 

9. Termin (15.6.2011): Körperschaftliches Recht
Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, 2000, Kap. VI und VII (Auszug).
Eugen Ehrlich, „Zur Frage der juristischen Person“, in: Gesetz und lebendes Recht. Vermischte kleinere Schriften, hg. v. Manfred Rehbinder, 1986, 133-145.
WphM: „Körper“.

10. Termin (22.6.2011): Netzwerkadäquates Recht
Gunther Teubner, „‘So ich aber die Teufel durch Beelzebub austreibe, ...‘: Zur Dia­bolik des Netzwerkversagens“, (erschienen in: Ino Augsberg (Hg.), Ungewißheit als Chance. Perspektiven eines produktiven Umgangs mit Unsicherheit im Rechtssys­tem, 2009).
WphM: „Netz“.

11. Termin (29.6.2011): Einheitliches/Ganzheitliches Recht
Andreas Fischer-Lescano, „Kritik der praktischen Konkordanz“, Kritische Justiz 2008, 166-178.
BVerfGE 7, 198 (Lüth); 34, 269 (Soraya), jeweils in Auszügen.
WphM: „Licht“.

12. Termin (6.7.2011): Textuales Recht
Ino Augsberg, „Rechtslektionen, Zur Textualität des juristischen Verfahrens“, Rechtstheorie 40, 2009, 71-97.
WphM: „Sprechen“.

13. Termin (13.7.2011): Enigmatisches Recht
Peter Goodrich, “Legal Enigmas – Antonio de Nebriija, The Da Vinci Code and the Emendation of Law”, Oxford Journal of Legal Studies, Vol. 30, No. 1 (2010), 71-99.

 

Organisatorisches

Die Veranstaltung wird im Sommersemester 2011 – beginnend am 20.4.2011 – mittwochs, 16.00 c.t. bis 17.45 Uhr in Seminarraum RuW 2.102 (2. OG) stattfinden. Das Seminar gilt als Schwerpunktbereichsveranstaltung für den Schwerpunktbereich Grundlagen des Rechts (SPB 3). Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften sind ebenfalls willkommen. Ein detaillierter Seminarplan wird rechtzeitig vor Veranstaltungsbeginn über die Homepage des Veranstalters (www.malte-gruber.de) und mit Aushängen be­kannt gegeben. Den Seminar­reader können Sie gegen Ende der Semesterferien bei „Copy am Campus“, Parkstraße 20 (Nähe Bushaltestelle Campus Westend) erhalten. Einen Leistungsnachweis kann erwerben, wer nach Absprache mit den Dozenten neben einer kurzen Einführung zu einer Sitzung („Impuls“) eine schriftliche Arbeit zu einem der Texte oder ei­ner übergreifenden, seminarbezogenen Fragestellung anfertigt. Die Arbeit sollte einen Umfang von ca. 15 Seiten haben und mit einem wissenschaftlichen Fußnotenapparat sowie einer Biblio­graphie versehen sein. Einzelheiten werden zu Beginn des Semesters gesondert besprochen. Zur An­meldung und Vormerkung für eine der etwa zehn- bis fünfzehn­minütigen Einfüh­rungen („Im­pulse“) in den für die betreffende Sitzung angegebenen Text wenden Sie sich bitte an Dr. Malte Gruber, RuW 3.145, oder schreiben Sie eine E-Mail an <gruber@jur.uni-frankfurt.de>.

 

Das vollständige Seminarprogramm erhalten Sie hier als pdf.